Voriger Eintrag Jahresübersicht | IndexseiteNächster Eintrag

 

Franz Kafka an den Kurt Wolff Verlag (G.H.Meyer)


Prag, am 28.Juli 1916
 

Sehr geehrter Herr Meyer!

Als ich jetzt von einer Reise zurückkam, fand ich Ihr Schreiben vom 10. l. M. sowie die Bücher vor. Für beides danke ich Ihnen bestens.

Hinsichtlich der Herausgabe eines Buches bin ich gleichfalls Ihrer Meinung, wenn auch die meine erzwungenerweise ein wenig radikaler ist. Ich glaube nämlich, dass es das allein Richtige wäre, wenn ich mit einer ganzen und neuen Arbeit hervorkommen könnte; kann ich das aber nicht, so sollte ich vielleicht lieber ganz still sein. Nun habe ich tatsächlich eine derartige Arbeit gegenwärtig nicht und fühle mich auch gesundheitlich bei weitem nicht so gut, dass ich in meinen sonstigen hiesigen Verhältnissen zu einer solchen Arbeit fähig sein könnte. Ich habe in den letzten 3, 4 Jahren mit mir gewüstet (was die Sache sehr verschlimmert: in allen Ehren) und trage jetzt schwer die Folgen. Sonstiges kommt auch noch hinzu.

Ihrem liebenswürdigen Vorschlag Urlaub zu nehmen und nach Leipzig zu kommen, kann ich augenblicklich aus den verschiedensten Gründen nicht folgen. Vor 4, 3 ja sogar noch vor 2 Jahren hätte ich es, was meine äußern Umstände und meine Gesundheit anlangte, tun können und sollen. Jetzt bleibt mir nur übrig zu warten, bis mir die einzigen Heilmittel, die mir wahrscheinlich noch helfen könnten, zugänglich werden, nämlich: ein wenig Reisen und viel Ruhe und Freiheit.

Vorher kann ich keine größere Arbeit vorlegen und es bleibt also nur die Frage (die ich für meinen Teil verneinen würde) ob es irgendwelchen Nutzen bringen könnte, die Erzählungen "Strafen" (Das Urteil, Die Verwandlung, In der Strafkolonie) jetzt zu veröffentlichen. Sind Sie der Meinung, dass eine solche Herausgabe gut wäre, auch wenn in absehbarer Zeit keine größere Arbeit folgen kann, so füge ich mich vollständig Ihrer gewiß besseren Einsicht.

Mit meinen besten Grüßen, die ich gelegentlich auch Herrn Wolff zu vermitteln bitte, verbleibe ich Ihr sehr ergebener


F Kafka




"Strafen": Die Erzählung "In der Strafkolonie" wurde im Mai 1919 als viertes Buch der neuen Folge der Drugulin-Drucke für den Kurt Wolff Verlag in der Offizin W.Drugulin in Leipzig in einer einmaligen Auflage von 1000 Exemplaren gedruckt. Eine Zusammenfassung unter dem von Kafka vorgeschlagenen Titel "Strafen" erschien nicht.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at