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Franz Kafka an den Kurt Wolff Verlag (G.H.Meyer)
Sehr geehrter Herr Meyer!
Als ich jetzt von einer Reise zurückkam, fand ich Ihr Schreiben vom
10. l. M. sowie die Bücher vor. Für beides danke ich Ihnen bestens.
Hinsichtlich der Herausgabe eines Buches bin ich gleichfalls Ihrer Meinung,
wenn auch die meine erzwungenerweise ein wenig radikaler ist. Ich glaube
nämlich, dass es das allein Richtige wäre, wenn ich mit
einer ganzen und neuen Arbeit hervorkommen könnte; kann ich das aber
nicht, so sollte ich vielleicht lieber ganz still sein. Nun habe ich tatsächlich
eine derartige Arbeit gegenwärtig nicht und fühle mich auch gesundheitlich
bei weitem nicht so gut, dass ich in meinen sonstigen hiesigen Verhältnissen
zu einer solchen Arbeit fähig sein könnte. Ich habe in den letzten
3, 4 Jahren mit mir gewüstet (was die Sache sehr verschlimmert: in
allen Ehren) und trage jetzt schwer die Folgen. Sonstiges kommt auch noch
hinzu.
Ihrem liebenswürdigen Vorschlag Urlaub zu nehmen und nach Leipzig
zu kommen, kann ich augenblicklich aus den verschiedensten Gründen
nicht folgen. Vor 4, 3 ja sogar noch vor 2 Jahren hätte ich es, was
meine äußern Umstände und meine Gesundheit anlangte, tun
können und sollen. Jetzt bleibt mir nur übrig zu warten, bis
mir die einzigen Heilmittel, die mir wahrscheinlich noch helfen könnten,
zugänglich werden, nämlich: ein wenig Reisen und viel Ruhe und
Freiheit.
Vorher kann ich keine größere Arbeit vorlegen und es bleibt
also nur die Frage (die ich für meinen Teil verneinen würde)
ob es irgendwelchen Nutzen bringen könnte, die Erzählungen "Strafen" (Das Urteil, Die Verwandlung, In der Strafkolonie)
jetzt zu veröffentlichen. Sind Sie der Meinung, dass eine solche
Herausgabe gut wäre, auch wenn in absehbarer Zeit keine größere
Arbeit folgen kann, so füge ich mich vollständig Ihrer gewiß
besseren Einsicht.
Mit meinen besten Grüßen, die ich gelegentlich auch Herrn Wolff
zu vermitteln bitte, verbleibe ich Ihr sehr ergebener
F Kafka
"Strafen": Die Erzählung "In
der Strafkolonie" wurde im Mai 1919 als viertes Buch der neuen Folge
der Drugulin-Drucke für den Kurt Wolff Verlag in der Offizin W.Drugulin
in Leipzig in einer einmaligen Auflage von 1000 Exemplaren gedruckt. Eine
Zusammenfassung unter dem von Kafka vorgeschlagenen Titel "Strafen"
erschien nicht.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at