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Postkarte an Felice Bauer

[Prag, 1.XI.16]
 


Liebste, wie, jetzt drohst auch Du mit Nichtfahren? Nach den endlosen kleinen Schwierigkeiten, von denen jetzt nur noch eine möglich ist, soll auch diese große kommen? Das darf nicht sein. Über den Urlaub Deines Chefs muß doch schon längst entschieden sein. - Heute kamen die Bilder und Dein Montagsbrief. Schönes Gruppenbild im Walde. Das sind also Deine 9 Mädchen und die Hanff ist mit dabei. Diesmal ist S. die einzige, die nicht lächelt. Die schönste ist wohl die kokette links in der Gürtelbluse. Ein wenig gestört ist das Bild durch die waldschneckenartige Lagerung der vordersten. Große Mädchen übrigens und bis auf 2, 3 scheinbar typische Gesichter. Allerdings, ein Gesicht ist etwa in 1000 Bildern erst zu fassen. Auf den 2 Reigenbildern sind ja auch Deine Mädchen zu sehn, mit einiger Mühe auch sicherzustellen, sehen aber doch ganz anders aus. Die Güte Deines Bildes in der Gruppe läßt das mißratene und ziemlich unverständliche Bild mit den Blumen ein wenig verschmerzen. Das 5. Bild, in dem ich nur S. erkenne, mußt Du mir noch erklären. - Ob ich das Chanukaspiel werde auftreiben können, weiß ich nicht. Versuchen werde ich es natürlicb gleich. - Was sagst Du zu der Demütigung (falls Lüge nur Demütigung ist), in der Du mich in dem übersendeten Blatt siehst? Es ist durchaus nicht der tiefste Punkt meiner Demütigung, es gibt noch tiefere auf allen Seiten, aber tief genug ist er. - Nicht mehr mit Nichtfahren drohn!

Franz




Chanukaspiel: Offenbar der Text eines der vielen Theaterstücke, welche die Chanukkah-Geschichte - vgl. Anm.1 S. 168 - zur Darstellung bringen.


übersendeten Blatt: Das übersendete Blatt ist nicht erhalten, es sei denn Kafka meint den Aufruf, der dem Brief vom 30. Oktober beigelegt war; siehe Anhang S. 764.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at