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Postkarte an Felice Bauer

[Prag, 18. X. [1916]
 


Liebste, arme Strafportozahlerin, verzeih, aber ich bin fast ganz unschuldig, wovon ich Dich durch eine sehr ausführliche Darstellung, die Du mir aber gewiß erläßt, unbedingt überzeugen könnte, selbst Max der Postbeamte hat bis heute nur solche Karten verschickt. Heute kam Dein Brief vom Samstag und später der vom Montag. Besonders der letztere war mir sehr trostreich. Es ist der Waggon mit der gestrigen Berliner Nachmittagspost gestern hier ausgebrannt und ich ging heute den ganzen Morgen sehr nachdenklich und nebelhaft herum, immer in Sorgen wegen dieses ausgebrannten Waggons, in dem aller Voraussicht nach Dein Montagsbrief mit dem Bericht über den Heimausflug mit verbrannt sein mußte. Erst später kam Dein Brief, also nicht verbrannt! - Max bekommt die Erlaubnis nach München zu fahren überhaupt nicht, ich werde vielleicht im ersten Teil des Abends, der also vielleicht doch zustandekommt, Gedichte von ihm vorlesen. Bin zwar kein sehr guter, viel eher ein sehr schlechter Gedichtvorleser, werde es aber, wenn sich kein besserer findet, doch gern übernehmen. Das aber sage ich gleich: Wenn Du nicht fahren könntest, fahre ich selbst lieber auch nicht. Ich habe mich schon allzusehr an den Gedanken gewöhnt, Dich dort zu sehn. Du wirst es doch nach dem 22. Oktober, bis zu welchem Dein Chef Urlaub hat, mit Bestimmtheit sagen können, ob die Fahrt möglich sein wird oder nicht.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at