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Postkarte an Felice Bauer
Liebste, ärgerlicher Tag, durch Deinen Brief vom 13. gemildert. Für
den Fall als Du es gestern nicht erraten haben solltest, ich war allein.
Bin sehr weit gegangen, 5 Stunden etwa, allein und nicht genug allein,
in ganz leeren Tälern und nicht genug leer. Ich spüre manchmal
die Sorgen, als wenn sie mir das Blut 'aus den Schläfen trinken würden.
- Der Fall Sabinchen ist allerdings heikel. Nur versteh ich einige Voraussetzungen
nicht. Wozu ist die Kassa im allgemeinen bestimmt? Hat S. die 2 M entliehen
und dann erst den andern davon erzählt? Wer bestimmt, wie das Geld
aus der Kassa zu verwenden ist? Woher stammt das Geld? Hat die frühere
Leiterin von der Sache nicht gewußt? An Sabinchens Ehrlichkeit und
Hilfsbedürftigkeit zweifle ich natürlich nicht im geringsten,
wenn aber nicht die Formalitäten für die Entlehnung erfüllt
worden sind, so muß man doch gegenüber den andern Mädchen
bedenken, dass sie ebenso ehrlich und hilfsbedürftig sein können
und sich dadurch vielleicht geschädigt fühlen, dass sie
nicht so nahe bei der Kassasitzen. Allerdings darf S. deshalb ihre Ehrenstelle
keineswegs verlieren. Aber das Ganze wäre unmöglich, wenn alle
genug Vertrauen zueinander hätten, und Du wirst, das sehe ich, viel
Arbeit haben. Sabinchen und Hertha wären wohl zunächst zu besuchen.
Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at