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Postkarte an Felice Bauer

[Prag,] 15. X. 16
 


Liebste, ein so schöner Tag und ich im Bureau. Mein Trost ist, dass Du in Mühlenbeck [b]ist. - Heute wieder keine Nachricht. Du schreibst öfters, dass Du keine Nachricht bekommst, erwähnst dann aber nicht, ob die ausgebliebene nächsten Tag nachkommt. Es muß aber so sein, denn ich schreibe jeden Tag. - Den Bericht mußte ich ohne ihn zum zweitenmal gelesen zu haben Max borgen, er braucht ihn für den Mädchenklub, dieses heikle, brüchige, aber gewiß nicht wertlose Wesen. Deine Klage: es wird alles persönlich genommen, ist geradezu der Wahlspruch dieses Klubs. Aufgefallen ist mir in dem Bericht die Güte des Teiles, der von der ältern Knabengruppe handelt, offenbar stammt er von Lehmann. Hier stehen ein wenig Tatsachen und Ergebnisse, während das Übrige doch zum großen Teil Dinge enthält, die man von vornherein annehmen konnte, die aber allerdings im ersten Bericht am Platze sind. Sehr gut muß übrigens auch der Kindergarten sein, über den so bescheiden berichtet wird. - Heute bin ich allein, Ottla ist aufs Land gefahren ich habe die Wahl, Felix und seine Frau, denen ich es zugesagt habe, abzuholen oder allein zu gehn. Was werde ich tun?

Franz




dieses heikle, brüchige, aber gewiß nicht wertlose Wesen :Gemeint ist der nur wenige Mitglieder zählende Prager zionistische Klub jüdischer Frauen und Mädchen", an dessen Veranstaltungen auch Kafkas Schwester Ottla gelegentlich teilnahm. Die Prager Wochenschrift Die Selbstwehr berichtete hin und wieder über die Zusammenkünfte dieses Klubs.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at