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An Felice Bauer
Liebste, also das Referat, hoffentlich bekommst Du es noch rechtzeitig,
es wird nicht sehr gut werden, ich improvisiere es in aller Eile, da ich
heute unerwartet viel zu tun hatte und überdies aus verschiedenen
Gründen und Nichtgründen seit dem damaligen ersten Lesen im Foerster
mich nicht weiter mit [ihm] abgegeben habe und deshalb heute, um das Referat
Deines Kapitels machen zu können, auch noch die ersten 48 Seiten,
die Zähne in den Lippen, durchrasen mußte. Also fangen wir an:
Nein, vorher noch etwas: Auch ich glaube, dass es richtig ist, zuerst
das Ganze dreiviertel lesend, einviertel redend durchzunehmen, dann aber
als Referent, der seinen Teil besonders gründlich gelesen hat und
diesen Vorteil den andern mitteilen will, das Ganze in kurzen Sätzen
zusammenzufassen. Außerdem glaube ich nicht, dass es die Sache
des Referenten ist, Zweifel, die er an der Berechtigung mancher Foersterscher
Aufstellungen hat, bei dieser Gelegenheit vorzubringen, wohl aber halte
ich es für nötig, dass ein eigener Abend oder Vortrag am
Ende des ganzen Kurses oder vielleicht schon am Ende des theoretischen
Teiles einer Besprechung der Bedenken gegen einzelnes im Foerster vorbehalten
wird. Ich würde Dir dann sehr gern einen in meinem Sinne gelegenen
Entwurf dazu machen. Also jetzt das Referat:
Bisher wurden die allgemeinen Gesichtspunkte der Methode einer Morallehre
aufgezeigt, und zwar in 2 Hauptgruppen, in der Führung der Kinder
vom Leben empor zu den Sittengesetzen und in der Führung von den Sittengesetzen
zum Leben hinab. Beide, natürlich organisch zu vereinigende Methoden
gelten sowohl für die eigentliche Morallehre als auch für den
Wissensunterricht. Indem heute zu besprechenden Abschnitt ist die Untersuchung
auf den Moralunterricht innerhalb der einzelnen Gegenstände des Wissensunterrichts
eingeschränkt. Behandelt werden die Naturwissenschaften, besonders
Physik, Physiologie, Astronomie, dann der Sprachunterricht, Geschichtsunterricht,
Literaturgeschichte, Gesang-und Musikunterricht; der Geographieunterricht
wird nur gestreift.
Inder Naturwissenschaft ist die Anknüpfung an die Sittengesetze wichtiger
als anderswo, denn hier ist die eigentliche, an sich nicht notwendige,
aber tatsächlich vorhandene Ursache des Abirrens von ihnen. Es werden
zwei Beispiele der moralischen Gegenwirkung gezeigt: Eine Darstellung (für
Kinder von 11-14 Jahren) der Sinnlosigkeit, welche alle Entdeckungen und
Erfindungen bekommen müssen, wenn der sittliche Mensch nicht vorhanden
ist, der sich ihrer bedienen soll. Und dann für Schüler der obersten
Klassen eine Darstellung der Tat und Strafe des Prometheus als der Erreichung
der Macht in Auflehnung gegen die höhere Ordnung und Abbüßung
dieser Schuld.
Die Anknüpfungsmöglichkeiten in der Astronomie sind etwa: Die
Untersuchung der Entdeckung des Kopernikus als einer Tat des tiefen Mißtrauens
gegen den Augenschein, dieses wohltätigen Mißtrauens, das man auch
bei Beurteilung des eigenen sittlichen Verhaltens wahren soll. Die Demut
welche die Anerkennung der subjektiven Störungsursachen in der astronomischen
Forschung zu Folge haben muß, soll auch in der Anerkennung der subjektiven
Fehlerquellen im sittlichen Verhalten erstrebt werden.
Der Sprachunterricht kann begründet werden auf der Feststellung, dass
es sich hier um die erste Stufe angewandter Menschenliebe handelt, die
sich äußert in der Verwirklichung innerlicher Gastfreundschaft,
in der Loslösung von der Beschränktheit des eigenen Empfindens,
in dem Eindringen in fremde Anschauungswelt, also im Wachsen an Toleranz
und Bescheidenheit. Ohne das Erleben dessen ist durch bloßes Anlernen
der Sprache wenig erreicht. Das sieht man an den unversöhnlichen Gegensätzen,
die innerhalb der gleichen Sprachgemeinschaft herrschen, z.B. unter den
Ständen oder verschiedenen Generationen. In diesem Sinne ist auch
Aneignung der Sprache des Sprachgenossen nötig.
Im gewöhnlichen Geschichtsunterricht ist ein Mißbrauch der Morallehre
sowohl, als auch der Geschichte sehr häufig. Die üblichen Versuche,
die Geschichte als das Beweismaterial des Satzes: Die Weltgeschichte ist
das Weltgericht hinzustellen, sind verfehlt und gefährlich. Man soll
vielmehr unter Verzicht auf die an sich unmögliche historische Beweisführung
sich nur auf die psychologische Darstellung der Verwüstung beschränken,
welche die Gewalt in der Seele des Täters und des Vergewaltigten anrichtet.
Nur auf diese Weise kann man den blendenden Schein des historischen Geschehens
machtlos machen. (Jedenfalls Zweck heiligt die Mittel und Seite 66, zweiter
Absatz, als für Foerster charakteristisch vorlesen!) Der sittliche
Grundfehler des weithin verführerischen gewalttätigen Freiheitsstrebens
wird an dem Beispiel Christi klar gemacht.
Zur Fortsetzung ist leider schon zu spät. Ich bin also etwa bis zu
Seite 71 gekommen, bleibt also nur noch Literatur und Kunst, Musikunterricht
ist ja nur auf Beispiele beschränkt, die wenigstens zum Teil wie das
gute: die zweite Stimme vorgelesen werden müssen.
Zum Schluß wäre dann vielleicht noch zu sagen, dass man
sich natürlich im Geist des Buches von den notwendigerweise unzusammenhängenden
Beispielen, welche allerdings im praktischen Teil (auf den auch oft verwiesen
wird) noch sehr vermehrt werden, nicht von der Hauptlehre beirren lassen
darf, welche auf Seite 68 (Anfang des letzten Absatzes) wieder einmal neu
gefaßt wird. Alle Beispiele haben natürlich nur den Zweck in
dieser Hauptlehre zu festigen.
Franz
Nicht zu viel Arbeit übernehmen, Felice! Warum mußt Du z. B.
den Bericht schreiben?
zweite Stimme: Kapitelüberschrift in Foerster,
Juqendlehre, S. 78ff.
den Bericht: Felice schrieb das Typoskript der
schon erwähnten, von der Leitung des Jüdischen Volksheims herausgegebenen
Broschüre. Vgl. Anm. 2 S. 701.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at