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Postkarte an Felice Bauer
Liebste, keine Nachricht, hatte diese Woche nur Karte und Brief vom Montag.
- Der schöne Tag, der heute ist, macht mich wieder ein wenig lebendiger.
Vielleicht wirst auch Du wieder einen schönen, aber hoffentlich weniger
anstrengenden Sonntag mit den Kindern haben. Ich wollte auch neben Dir
im Koupe' sitzen und fragen, ob ich fragen darf. Vielleicht würde
dann die ewige Unruhe aufhören. Mir ist viel zu oft im Geiste, wie
dem Schiffbrüchigen im Körper ist, wenn er zwischen den unübersehbaren
Wellen auf und ab geschwemmt wird ohne alle Barmherzigkeit. - Schon öfters
wollte ich Dir davon schreiben: Erinnerst Du Dich an das kleine Prosastück,
das im "Juden" hätte erscheinen sollen im Anhang an einen Aufsatz
von Max? Die Sendung ging damals verloren, später wurde es dann noch
einmal geschickt und schließlich hat Buber, wie es auch in meinem
Sinn das allein Vernünftige war, den Aufsatz von Max mit einigen Vorbehalten
angenommen, auf meinen "Traum" aber verzichtet,
allerdings in einem Brief, der ehrenvoller war, als eine gewöhnliche
Annahme hätte sein können [1]. .Ich erwähne das aus zwei
Gründen: erstens weil mich der Brief gefreut hat und zweitens um Dir
an dieser Kleinigkeit in beamtenhafter Ängstlichkeit zu zeigen, wie
unsicher meine materielle und geistige Existenz ist. Selbst unter der Voraussetzung,
dass ich etwas werde leisten können (ich kann vor Unruhe keine
Zeile schreiben) ist es sehr leicht möglich, dass selbst Leute,
die es mit mir gut meinen, mich abweisen werden, die andern natürlich
umso mehr.
Herzlichste Grüße Franz
"Traum": Das aus der Arbeit am Prozeß
hervorgegangene Prosastück "Ein Traum"; es hätte
ursprünglich wohl im Anschluß an Max Brods Aufsatz "Unsere
Literaten und die Gemeinschaft" in der Monatsschrift Der Jude
I, 7 (Oktober 1916) erscheinen sollen, wurde dann aber in der von Martin
Buber mitherausgegebenen Sammelschrift Das jüdische Prag, Prag,
Verlag der >Selbstwehr< (Dezember 1916) veröffentlicht. Ende 1916
erschien es dann im Almanach der Neuen Jugend auf das Jahr 1917,
Verlag Neue Jugend Berlin, S. 172ff. und am 6. Januar 1917 schließlich
noch einmal im Prager Tagblatt (Unterhaltungs-Beilage).
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at