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Postkarte an Felice Bauer

[Prag,] 22. Sept, 16
 


Liebste, daß Du auch zu dem andern Kurs noch gehst, habe ich eigentlich gar nicht erwartet. Wirst Du das alles umfassen können, einerseits ohne Dich überanzustrengen, andererseits ohne Deine Aufnahmfähigkeit und Deine Leistungen dort zu schwächen? Die Debatte, von der Du erzählst, ist charakteristisch, ich neige im Geiste immer zu Vorschlägen wie denen des Hr. Scholem, die das Äußerste verlangen und damit gleichzeitig das Nichts. Man muß eben solche Vorschläge und ihren Wert nicht an der tatsächlichen Wirkung messen, die vor einem liegt. Übrigens meine ich das allgemein. Der Vorschlag Scholems ist ja an sich nicht unausführbar. - Daß Du mit den Mädchen gut auskommst und Hoffnung hast, ihnen näher zu kommen, freut mich sehr. Sehr schädlich wäre dem eine Art Selbstzufriedenheit, deren allerdings kleinste und vielleicht nur für mein ängstliches und besonders nahe gebrachtes Auge sichtbare Spitzen in Deinem Brief hervortreten, etwa: "ihnen recht viel sein und geben möchte und könnte." Nur nicht glauben, Dank der Kinder zu verdienen und immer wissen, daß man zu danken hat. Wenn man nicht zu danken hat, dann ist man in der traurigen Lage einer Volksschullehrerin, die für ihre Qual nicht einmal bezahlt wird. Eine Figur der Hölle. - Dabei erinnere ich mich: Nächstens erscheint Deine alte Geschichte. Ich habe die veraltete Widmung ersetzt durch: "Für F." Ist es Dir recht?

Viele Grüße Franz




erscheint Deine alte Geschichte: Die der ersten Veröffentlichung im Jahrbuch Arkadia vorangestellte Widmung lautete: "Für Fräulein Felice B.". Vgl. Brief vom 18. Oktober 1912, S. 53.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at