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An Felice Bauer

12. IX. 16
 


Liebste, etwas von dem, wonach Du mich fragst, ist in meinem gestrigen Antwortbrief angedeutet, allerdings nicht einmal das Wichtigste. Ich kann es nicht schreiben, mein Trost ist, dass ich es nicht einmal mündlich zu sagen imstande wäre. Diese Klarheit, die Du Deinem Wesen nach vielleicht mit Recht verlangst, habe ich über diesen Gegenstand nicht, nicht einmal im Negativen und hätte ich sie, ich glaube, ich würde mich scheuen sie zu übertragen. Es wäre mir ja möglich gewesen, durch Vorlage von Zeitschriften und Büchern zu versuchen, Dich irgendwohin zu lenken, wo mir im Geistigen ein guter Aufenthalt für Dich bereitet schien. Ich habe es nicht getan, es wäre auch nichts gewesen, solche an sich schwache Lenkungen ergeben nur Schwaches, abgesehen davon, dass Du Dich ihnen durch eine Kopfwendung entziehen konntest, wie z.B. den Memoiren. Ich füge hinzu: mit Recht entziehen konntest, denn dieser Versuch der fernen, zusammenhanglosen Berührung war fast leichtfertig. Deshalb freute ich mich so, als Du in Marienbad, ohne dass ich es erwartet oder beabsichtigt hätte, den Gedanken des Heims so frei und gut aufgriffst und Dich jetzt von ihm weiterführen lassen willst. Nur die Wirklichkeit dort kann Dich wesentlich belehren, die kleine und kleinste Wirklichkeit. Mache Dir keine Vorurteile weder gute noch schlechte, auch der Gedanke an mich soll hiebei nicht als Vorurteil wirken. Du wirst dort Hilfsbedürftigkeit sehn und Möglichkeit vernünftiger Hilfe, in Dir aber Kraft zu dieser Hilfe, also hilf. Das ist sehr einfach und doch abgründiger als alle Grundgedanken. Alles andere, wonach Du fragst, wird, wenn es so sein soll, aus diesem Einfachen sich von selbst ergeben. Was mich betrifft, so bedenke, dass Du durch diese Arbeit im einzelnen Dich gewissermaßen von mir entfernst, denn ich wäre, wenigstens jetzt - und hiebei denke ich nicht etwa an meinen Gesundheitszustandeiner solchen Arbeit gar nicht fähig, ich hätte die Hingabe für eine solche Arbeit nicht. Das ist aber nur im einzelnen, im ganzen und darüber hinaus weiß ich geradezu keine engere geistige Verbindung zwischen uns, als die, welche durch diese Arbeit entsteht. Von jedem Handgriff; den Du dort tun wirst, von jeder Mühe, die Du dort auf Dich nimmst (Deiner Gesundheit darf sie allerdings nicht schaden), von jeder solchen Sache werde ich zehren, so wie von Deinem letzten Brief. Es ist, soviel ich sehe, der absolut einzige Weg oder die Schwelle des Weges, der zu einer geistigen Befreiung führen kann. Und zwar früher für die Helfer, als für die, welchen geholfen wird. Vor dem Hochmut der entgegengesetzten Meinung hüte Dich, das ist sehr wichtig. Worin wird denn dort im Heim geholfen werden? Man wird, da man doch für dieses Leben schon einmal in seine Haut eingenäht ist und zumindest mit eigenen Händen und unmittelbar an diesen Nähten nichts ändern kann, versuchen, die Pfleglinge, bestenfalls unter möglichster Schonung ihres Wesens, der Geistesverfassung der Helfer und in noch weiterem Abstand der Lebenshaltung der Helfer anzunähern, d. h. also dem Zustand des gebildeten Westjuden unserer Zeit, Berlinerischer Färbung und, auch das sei zugegeben, dem vielleicht besten Typus dieser Art. Damit wäre sehr wenig erreicht. Hätte ich z. B. die Wahl zwischen dem Berliner Heim und einem andern, in welchem die Pfleglinge die Berliner Helfer (Liebste, selbst Du unter ihnen und ich allerdings obenan) und die Helfer einfache Ostjuden aus Kolomea oder Stanislau wären, ich würde mit riesigem Aufatmen, ohne mit den Augen zu zwinkern, dem letzteren Heim den unbedingten Vorzug geben. Nun glaube ich aber, diese Wahl besteht nicht, niemand hat sie, etwas, was dem Wert der Ostjuden ebenbürtig wäre, läßt sich in einem Heim nicht vermitteln, in diesem Punkt versagt in letzter Zeit sogar die blutsnahe Erziehung immer mehr, es sind Dinge, die sich nicht vermitteln, aber vielleicht, das ist die Hoffnung, erwerben, verdienen lassen. Und diese Möglichkeit des Erwerbes haben, so stelle ich es mir vor, die Helfer im Heim. Sie werden wenig leisten, denn sie können wenig und sind wenig, aber sie werden, wenn sie die Sache begreifen, alles leisten, was sie können, und dass sie eben alles leisten, mit aller Kraft der Seele, das ist wiederum viel, nur das ist viel. Mit dem Zionismus hängt es (dies gilt aber nur für mich, muß natürlich gar nicht für Dich gelten) nur in der Weise zusammen, dass die Arbeit im Heim von ihm eine junge kräftige Methode, überhaupt junge Kraft erhält, dass nationales Streben anfeuert, wo anderes vielleicht versagen würde, und dass die Berufung auf die alten ungeheuern Zeiten erhoben wird, allerdings mit den Einschränkungen, ohne die der Zionismus nicht leben könnte. Wie Du mit dem Zionismus zurechtkommst, das ist Deine Sache, jede Auseinandersetzung (Gleichgiltigkeit wird also ausgeschlossen) zwischen Dir und ihm, wird mich freuen. Jetzt läßt sich darüber noch nicht sprechen, solltest Du aber Zionistin einmal Dich fühlen (einmal hat es Dich ja schon angeflogen, es war aber nur Anflug, keine Auseinandersetzung) und dann erkennen, dass ich kein Zionist bin - so würde es sich bei einer Prüfung wohl ergeben - dann fürchte ich mich nicht und auch Du mußt Dich nicht fürchten, Zionismus ist nicht etwas, was Menschen trennt, die es gut meinen.

Es ist spät geworden, auch will sich Kopf und Blut seit zwei Tagen wieder gar nicht beruhigen.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at