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Postkarte an Felice Bauer

[Prag,] 7. Sept. 16
 


Liebste, drei Tage ohne Nachricht, dafür heute der Brief mit den Bildern. Sie sind wohl nicht sehr gut und das eine scheint eine Vorprobe aus dem Trauerchor der Troerinnen darzustellen, aber sie gehn mir doch sehr nahe und ich umfasse sie ganz und gar. Mach mir öfters solche Freude. - Die Kinderfrage, die Du stellst, gehört zu den schwierigsten und ist wahrscheinlich überhaupt unlösbar. Sie gehört sogar wesentlich zu meinen Verzweiflungsanfällen. Sie ist weder zu lösen noch zu vernachlässigen. Was für eine Peitsche ist aus dieser höchsten Ermächtigung gedreht worden! - DieWendung übrigens, die Du der Frage gibst, ist nicht so schwer zu beantworten. Für jede der drei Ehen ergibt sich offenbar eine besondere Erklärung oder vielmehr ein Versuch der Rechtfertigung. Ungerechtfertigt will keiner bestehn oder wenigstens ohne den Versuch gemacht zu haben, sich zu rechtfertigen oder vielmehr nicht so sehr sich als die Verbindung. Den Frauen ist es beides, Schuld und Mangel den Männern wohl nur Schuld, die aber vielfach gebüßt wird. Ist das halbwegs klar?

Gerade will ich zuhause die Karte beenden, da sehe ich vor mir im Berliner Tageblatt (Abend 5. IX.) die Ankündigung der Ausstellung "Mutter und Säugling" und der Vorträge, die dort gehalten werden.

Viele Grüße Franz


[am Rande] Ich bin durchaus nicht gegen die Maschinenschrift.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at