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Zwei Postkarten an Felice Bauer
Liebste - gestern keine Nachricht; "sie" hat Dienstag keine
Zeit und Lust gehabt, an mich zu schreiben, habe ich gedacht; heute kommt
aber Brief und Karte, sehr lieb und gut. - dass Du mit dem Volksheim
endlich in Berührung kommst freut mich ungemein. Wo hast Du mit der
Dame gesprochen? - Die Dokumente. Ja, das ist schwer. Besonders der Matrikenauszug
wird nicht leicht zu bekommen sein. Es ist auch schon so lange her, seit
ich geboren wurde. Ich glaube immer, meine Papiere habt Ihr schon vor 2
Jahren irgendjemandem in Berlin gegeben, im Tempel vielleicht oder in einem
Amt, ich weiß nicht. Ich werde mich jedenfalls danach umsehn, es
braucht aber einen energischen Aufschwung. - In der Betrachtung der endlosen
Zeit sind wir einig, wenn ich auch gewiß bin, dass nicht jede
vergehende Minute so an Dir rüttelt wie an mir. Das ist aber auch
gut so. - Eine Bitte: Du weißt, dass mein Vetter geheiratet
hat. Er hat sich als Hochzeitsgeschenk von meinen Eltern ein Bild gewünscht.
Ich habe an einen Maler (den ich sehr hoch stelle und der übrigens
auch schon einmal zwischen uns erwähnt worden ist) Fritz Feigl, Wilmersdorf,
Waghäuslerstraße 6, geschrieben. Um den Preis zu drücken,
habe ich, nicht ganz anständiger Weise, gelogen, dass ich das
Bild schenken will. Er antwortet mir nun, dass die Bilder, die ich
bezeichnet habe, in Köln sind und dass er nicht weiß, was
er unter seinen Berliner Bildern für mich aussuchen soll. (Gleichzeitig
fragt er, ob 200 K nicht zu viel ist. Es ist zu viel.) Soll ich ihm schreiben,
dass er sich mit Dir in Verbindung setzen soll und dass Du (mit
dem unbestechlichen Blick für das durchschnittliche jüdische
Hochzeitsgeschenk) die Auswahl treffen wirst? Du würdest bei der Gelegenheit
viel Sehenswertes sehn, nämlich ihn, seine Bilder, seine Frau, seine
Wohnung.
Viele Grüße Franz
Letzte Änderung: 27.4.2016 werner.haas@univie.ac.at