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Zwei Postkarten an Felice Bauer

[Prag,] 13. August [1916]
 


Liebste, wenn man solche unbestreitbare Dinge liest, wird einem noch wirrer als wirr: Fontane hatte 1876 eine Beamtenstelle als Sekretär der Kgl. Akademie der Künste angenommen und nach 3½ Monaten unter gräßlichem Streit mit seiner Frau sie gekündigt. Er schreibt an eine Freundin: "Alle Welt verurteilt mich, hält mich für kindisch, verdreht, hochfahrend. Ich muß es mir gefallen lassen. Das Sprechen darüber habe ich aufgegeben u.s.w.", dann: "ich bin jetzt 3½ Monate im Dienst. In dieser ganzen Zeit habe ich auch nicht eine Freude erlebt, nicht einen angenehmen Eindruck empfangen. Die Stelle ist mir, nach der persönlichen wie nach der sachlichen Seite, gleich zuwider. Alles verdrießt mich; alles verdummt mich; alles ekelt mich an. Ich fühle deutlich, dass ich immer unglücklich sein, dass ich gemütskrank, schwermütig werden würde." "Ich habe furchtbare Zeiten durchgemacht. Und was geschehen sollte, mußte rasch geschehn. Noch hab' ich vielleicht die Kraft und Elastizität, die Dinge wieder in so guten Gang zu bringen, wie sie bis zu dem Tage waren, wo mir diese unglückselige Stelle angeboten wurde. Die Weisheit der Menschen nutzt mir nichts. Was sie mir sagen können, hab' ich mir in 100 schlaflosen Stunden selbst gesagt. Schließlich muß ich doch dafür aufkommen und die bequemen Tage (bequem trotz ihres innern Schreckensgehaltes) mit arbeitsvollen vertauschen." "Man kann nicht gegen seine innerste Natur, und in jedes Menschen Herz gibt es ein Etwas, das sich, wo es mal Abneigung empfindet, weder beschwichtigen noch überwinden läßt. Ich hatte mich zu entscheiden, ob ich, um der äußern Sicherheit willen, ein stumpfes, licht- und freudeloses Leben führen oder u.s.w." So, heute hat Dir also Fontane statt meiner geschrieben


Herzlichste Grüße Franz




Freundin: Fontanes Briefe an Mathilde v. Rohr vom 17. Juni und 1. Juli 1876. Briefe Theodor Fontanes. Zweite Sammlung, hrsg. von Otto Pniower und Paul Schlenther, Berlin 1910, Bd. I, S. 360 bzw. S. 363. Veränderungen des Brieftextes durch Kafka sind nicht besonders gekennzeichnet.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at