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Gemeinsamer Brief Franz Kafkas und Felice Bauers: an Frau Anna Bauer

[Briefkopf des Hotels Schloß Balmoral u. Osborne, Marienbad]

10.Juli 1916
 


Liebe Mutter, nicht aus den alten Zeiten nehme ich das Recht zu dieser Ansprache sondern aus den neuen. Felice und ich haben uns, wie das zu geschehen pflegt, hier in Marienbad getroffen und haben gefunden, dass wir vor Jahren die Sache verkehrt angefaßt haben. Es war auch nicht sehr schwer das einzusehn. Nun wird eben das Gute nicht zum ersten und auch nicht zum zweitenmal fertig, wohl aber zum zehntausendsten Mal und dabei halten wir jetzt. Und wollen es auch festhalten, wozu ich Deiner mütterlichen Zustimmung gewiß zu sein glaube noch aus jenen Tagen her, als Du vom Balkon her mit freundlichem Winken meinen letzten Spaziergang durch die Mommsenstraße begleitet hast. Es ist seitdem manches anders geworden und weniges besser, das weiß ich wohl; aber unter diesem wenigen ist das Verhältnis zwischen Felice und mir und dessen Sicherung für die Zukunft. Das wollte ich Dir heute schreiben mit dem ehrerbietigsten Handkuß für Dich und herzlichen Grüßen für Erna und Toni.

Dein Franz


Liebe Mutter, ich hoffe, Du verstehst die vorstehenden Worte von Franz so, wie sie gemeint sind. Du hast ja nun Gelegenheit, ihm Deine Liebe von neuem zu schenken. Wenn Du an Franz schreiben willst, er bleibt vorläufig noch hier, während ich ja schon Ende der Woche zurück maß.

Also, ich hoffe, es wird nun Alles gut und schicke Dir viele herzliche Grüße.

Deine Felice




Marienbad: Im Jahre 1916 verbrachten Kafka und Felice ihren Urlaub gemeinsam in Marienbad, wo sie vom 3. bis zum 13 . Juli im Hotel >Schloß Balmoral< wohnten. Kafka blieb nach Felicens Abreise noch weitere zehn Tage in Marienbad. Sein Gesundheitszustand besserte sich von Tag zu Tag. Die Kopfschmerzen wichen und auch die Schlaflosigkeit, unter der er zuvor besonders stark gelitten hatte. In seinem Brief an Max Brod vom 12. zum 14. Juli 1916 berichtet Kafka: "Es waren seit dem Tepler Vormittag [8. Juli] so schöne und leichte Tage, wie ich nicht mehr geglaubt hätte, sie erleben zu können." Briefe, S. 140. - Und seinem Tagebuch vertraut er an: "Ich war noch niemals, außer in Zuckmantel, mit einer Frau vertraut. Dann noch mit der Schweizerin in Riva. Die erste war eine Frau, ich unwissend, die zweite ein Kind, ich ganz und gar verwirrt. Mit F. war ich nur in Briefen vertraut, menschlich erst seit zwei Tagen. So klar ist es ja nicht, Zweifel bleiben. Aber schön der Blick ihrer besänftigten Augen, das Sich-Öffnen frauenhafter Tiefe." (Tagebücber (Juli 1916), S. 505 bzw. Wagenbach, Monographie, S. 101.) Vgl. dazu die Stelle im Brief an Max Brod: "Im Grunde war ich noch niemals mit einer Frau vertraut ..." Briefe, S. 139. Noch 1922 spricht Kafka im Tagebuch davon, dass er "in Marienbad vierzehn Tage glücklich war ... allerdings nach der schmerzensvollen Grenzdurchbrechung." Tagebücher (29. Januar 1922), S. 567. Vgl. auch Tagebücher (3.-6. Juli 1916), S. 502ff.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at