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An Dr. Siegfried Löwy
[Auf dem Titelblatt eines "Führers in die Umgebung von Marienbad",
von Kafka an seinen Onkel Siegfried geschickt.]
Natürlich nur nach Marienbad fahren! Im Dianahof frühstücken
(süße Milch, Eier, Honig, Butter), schnell im Maxtal gabelfrühstücken
(saure Milch), schnell im Neptun beim Oberkellner Müller mittagessen,
zum Obsthändler Obst essen, flüchtig schlafen, im Dianahof Milch
im Teller essen (vorher zu bestellen!), schnell im Maxtal saure Milch trinken,
zum Neptun nachtmahlen, dann sich in den Stadtpark setzen und sein Geld
nachzählen, zum Konditor gehen, dann mir ein paar Zeilen schreiben
und soviel in einer Nacht schlafen, als ich in den 21 Nächten zusammen.
Das alles läßt sich bei Regen fast noch besser machen als bei
schönem Wetter, da dann die Spaziergänge nicht stören, und
in den entfernten Kaffeegärten immer etwas fehlt, im Kaffee Alm z.
B. die Milch, im Kaffee Nimrod die Butter, und in allen die Semmeln, die
man überhaupt immerfort mittragen soll.
Zeitung muß man nicht kaufen, im Dianahof Berliner Tageblatt, gleich
nach Erscheinen, andere Zeitungen (Zeitschriften nicht) im Lesesaal des
Stadthauses, die abends erscheinenden Berichte des Marienbader Tagblatts
sind wenigstens in einem Exemplar in allen Logierhäusern abonniert.
Besonders billiges, aber nicht ganz reines Obst am Eingang der Judengasse.
Ich würde für meinen Teil die von Dir notierten Häuser bei
der Waldquelle vorziehen, nicht nur, weil ich dort gewohnt habe, und Dianahof
in der Nähe ist, sondern weil die andere Häusergruppe in der
Front nach Nordwest gehen dürfte. Empfehlenswertes bei Neptun: Gemüseomlette,
Emmentaler, Kaiserfleisch, Portion Roheier mit Portion grüne Erbsen.
-
Willst Du abends arbeiten, nimm ein Zimmer mit Balkon (ohne allzu nahe
Nachbarbalkone), wo man die Nachtlampe auf den Balkontisch hinausstellen
kann; dann habt ihr zwei Zimmer, auf dem Balkon besondere Ruhe. -
Gutes Obst auch auf dem Weg zum Maxtal (das waren etwa meine Gedanken auf
dem Balkon in der ruhigen Nacht). - Hast Du einmal irgendeine Beschwerde
oder sonst etwas, dann geh ins Stadthaus zu dem "unermüdlichen
Presseleiter" Fritz Schwappacher, der einen Verein der zeitweise
in Marienbad anwesenden Journalisten gegründet hat.
Jetzt ist es aber genug und ihr könnt fahren. Bei dem Gedanken, euch
irgendwie als Vertreter dort zu haben, ist mir sehr wohl.
Siegfried: Landarzt in Triesch. (Vergleiche den
Brief Seite 36 ff.) Kafka bewahrte dem etwas sonderlinghaften Manne, der
Zeiteinteilung und Zeitausnützung über alles schätzte, eine
mit gutmütigem Spott gemischte Liebe und sehr viel Respekt.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at