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[Tagebuch, 6. November 1915; Samstag]

6. (November 1915) Anblick der Ameisenbewegung des Publikums vor dem Schützengraben und in ihm.

Bei der Mutter von Oskar Pollak. Guter Eindruck seiner Schwester. Gibt es übrigens jemanden vor dem ich mich nicht beuge? Was etwa Grünberg betrifft, der meiner Meinung nach ein sehr bedeutender Mensch ist und aus mir unzugänglichen Gründen fast allgemein unterschätzt wird: Stellte man mich etwa vor die Wahl, dass einer von uns beiden gleich untergehn müsse (rücksichtlich seiner Person ist es sehr wahrscheinlich, denn er soll eine weit fortgeschrittene Tuberkulose haben) dass es aber von meiner Entscheidung abhänge, wer das sein solle, so würde ich bis an den äußersten Rand der teoretischen Fragestellung die Frage lächerlich finden, da selbstverständlich der ungleich wertvollere Grünberg erhalten werden müsse. Auch Grünberg würde mir zustimmen. In den letzten unkontrollierbaren Augenblicken allerdings würde ich wie jeder andere schon viel früher Beweise zu meinen Gunsten erfinden, Beweise, die mich sonst infolge ihrer Rohheit, Kahlheit, Falschheit zum Erbrechen gereizt hätten. Diese letzten Augenblicke ereignen sich allerdings auch jetzt, wo mir niemand eine Wahl aufdrängt, es sind jene, wo ich mich unter Abhaltung aller ablenkenden, äußern Einflüsse zu prüfen suche.

"Schweigend sitzen die "Schwarzen" um das Feuer. Auf Ihren düstern Schwärmergesichtern zuckt der Flammenschein. "

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at