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Franz Kafka an den Kurt Wolff Verlag (G. H. Meyer)


Prag 20 Okt. [19] 15
 

Sehr geehrter Herr

Besten Dank für Ihr Schreiben vom 18., den "Napoleon", sowie die angekündigten Weißen Blätter.

Die Angelegenheit des Fontanepreises ist mir zwar noch immer nicht klar, trotzdem vertraue ich Ihrem Gesamturteil über die Frage. Allerdings scheint wieder daraus, dass Leonhard Frank (zum zweitenmal kann man doch wohl den Preis nicht bekommen) in Wahl stand, hervorzugehn, dass es sich nur und ausschließlich um Verteilung des Geldes gehandelt hat. Trotzdem habe ich, wiederum nur Ihrem Rate folgend, an Sternheim geschrieben; es ist nicht ganz leicht jemandem zu schreiben, von dem man keine direkte Nachricht bekommen hat, und ihm zu danken, ohne genau zu wissen wofür.

Mit dem "Napoleon" Einband bin ich natürlich einverstanden. Sind vielleicht die früheren Hefte der Sammlung in dieser Weise überbunden worden?

Beiliegend schicke ich die Korrekturen. Ich beeile mich auch gern, aber an manchen Tagen ist es mir nicht möglich, die kleine dafür notwendige Zeit zu ersparen.

Beiliegend auch die Besprechungen. Sie wurden mir als angeblich vollständige Sammlung geschickt, sind aber nicht vollständig. Soviel ich weiß fehlen Besprechungen aus Berliner Morgenpost, Wiener Allg. Zeitung, Österr. Rundschau, Neue Rundschau. Ich besitze leider keine von diesen. Die bedeutendste ist jedenfalls die von Musil in der Rundschau Augustheft 1914, die freundlichste die von H.E.Jakob, die beiliegt. Über "Betrachtung" die freundlichste von Max Brod im März und von Ehrenstein im "Berliner Tagblatt", auch die besitze ich aber nicht. Sie rieten mir Sternheim zu danken, müßte ich dann aber nicht auch Blei danken? Und welches ist seine Adresse?

Das kleine Stück für den Almanach "Vor dem Gesetz" sowie den ersten Bogen der Korrektur der Verwandlung haben Sie wohl erhalten.

Mit herzlichen Grüßen Ihr ergebener


F Kafka




Leonhard Frank: (1882-1961).Erzähler und Dramatiker. Erhielt für seinen ersten Roman "Die Räuberbande" 1914 den Fontane-Preis.


Musil in der Rundschau: Robert Musil besprach "Betrachtung" und "Heizer" in: "Die Neue Rundschau", August 1914, S. 1169-1170.


H.E. Jakob: Am 16.VI. 1913 besprach Heinrich Eduard Jacob den "Heizer" in der "Deutschen Montagszeitung", Berlin.


Max Brod im März: Max Brod "Das Ereignis eines Buches". "März" Jg. 7 (15. II. 1913), S. 268-70.


Ehrenstein im "Berliner Tagblatt": Aus der Besprechung von Albert Ehrenstein im "Berliner Tageblatt" (16.IV.1913 Beiblatt 4) werden im "Bunten Buche (S. 172), Leipzig: KWV 1914, folgende Sätze zitiert: "Sein edel gehaltenes Buch verfliegt in sanfttollen Arabesken, in Randbemerkungen eines verschwindensbereiten, unauffindbaren Zimmerherrn und Aftermieters des Lebens. Geschrieben werden so depressive (und doch leuchtende) Bücher nur in politisch nicht expansiven, in nicht schlagenden Staaten. Kafka behauptet sich sozusagen nur seinem Notizbuche gegenüber. Was er spricht, klingt wie geflüstert von einer der wenigen lieben, stillen, an die Wand gedrückten Existenzen, wie sie sich nur noch in den vom österreichischen Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern finden. Eine seltsam lyrische Prosa, pointenlos, witzferner als die Peter Altenbergs. Ein merkwürdig großes, merkwürdig feines Buch eines genial-zarten Dichters."


"Vor dem Gesetz"; Veröffentlicht in: "Vom jüngsten Tag". Ein Almanach Neuer Dichtung. Leipzig: KWV 1916, S. 126-28.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at