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An Felice Bauer
Nicht so schreiben, Felice. Du hast unrecht. Es sind Mißverständnisse
zwischen uns, deren Lösung allerdings ich bestimmt erwarte, wenn auch
nicht in Briefen. Ich bin nicht anders geworden (leider), die Waage, deren
Schwanken ich darstelle, ist die gleiche geblieben, nur die Gewichtsverteilung
ist ein wenig verändert, ich glaube, mehr über uns beide zu wissen
und habe ein vorläufiges Ziel. Wir werden Pfingsten darüber sprechen,
wenn es möglich sein wird. Glaube nicht, Felice, dass ich nicht
alle hindernden Überlegungen und Sorgen als fast unerträgliche
und widerliche Last empfinde, alles am liebsten abwerfen wollte, den geraden
Weg allen andern vorziehe, gleich und jetzt im kleinen natürlichen
Kreis glücklich sein und vor allem glücklich machen wollte. Es
ist aber unmöglich, die Last ist mir nun einmal auferlegt, die Unzufriedenheit
schüttelt mich, und sollte ich auch das Mißlingen ganz klar
vor Augen haben, und nicht nur das Mißlingen, sondern auch den Verlust
aller Hoffnungen und das Heranwälzen aller Verschuldung - ich könnte
mich wohl nicht zurückhalten. Warum glaubst Du übrigens, Felice
- es scheint wenigstens, dass Du es manchmal glaubst - an die Möglichkeit
eines gemeinsamen Lebens hier in Prag? Früher hattest Du doch schwere
Zweifel daran. Was hat sie beseitigt? Das weiß ich noch immer nicht.
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Und nun wieder die Zeilen im Buch. Es macht mich unglücklich,
das zu lesen. Nichts ist zuende, kein Dunkel, keine Kälte. Aber ich
fürchte mich fast, das niederzuschreiben, es ist, als bestätigte
ich erst die Tatsache, dass solche Dinge wirklich niedergeschrieben
werden konnten. Was für Mißverständnisse häufen sich
wieder auf.
Sieh, Felice, das einzige, was geschehen ist, ist, dass meine Briefe
seltener und anders geworden sind. Was war das Ergebnis der häufigen
und andern Briefe? Du kennst es. Wir müssen neu anfangen. Das Wir
bedeutet aber nicht Dich, denn Du warst und bist im Richtigen,
soweit es auf Dich allein ankam; das Wir bedeutet vielmehr mich und unsere
Verbindung. Zu einem solchen Anfang aber taugen Briefe nicht, und wenn
sie doch nötig sind - sie sind nötig -, dann müssen sie
anders sein als früher. Im Grunde aber, Felice, im Grunde. - Erinnerst
Du Dich der Briefe, die ich Dir vor etwa zwei Jahren, es dürfte etwa
in diesem Monat gewesen sein, nach Frankfurt geschrieben habe? Glaube mir,
ich bin im Grunde gar nicht weit entfernt davon, sie gleich jetzt wieder
zu schreiben. Auf der Spitze meiner Feder lauern sie. Sie werden aber nicht
geschrieben.
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Warum weißt Du nicht, dass es ein Glück für mich wäre
(und unser Glück, vielleicht nicht unser Leid, aber jedenfalls unser
Glück soll gemeinsam sein trotz Salammbô, gegen die ich übrigens
immer Verdacht hatte; in die Éducation hättest Du es nicht hineinschreiben
können) also dass es ein Glück für mich wäre,
Soldat zu werden, vorausgesetzt allerdings, dass es meine Gesundheit
aushält, was ich aber hoffe. Ende dieses Monats oder anfangs des nächsten
komme ich zur Musterung. Du sollst wünschen, dass ich genommen
werde, so wie ich es will.
Und Pfingsten kommen wir zusammen. Schade, dass ich noch keine Nachricht
von Dir habe. Hättest Du nur einen kleinen Einwand dagegen, nach Bodenbach
zu fahren, werde ich versuchen, einen Paß zu bekommen und Dich zu
besuchen; wenn es sein muß auch in Berlin.
Die Memoiren sollen nicht Deine Gesinnung bilden oder
beeinflussen, das war nicht meine Absicht. Aber das Leben dieses Menschen
ist wirklich mitlebenswert. Wie er sich opfern will und opfern kann! Ein
förmlicher Selbstmord und eine Auferstehung bei Lebzeiten. Und wofür
opfert er sich? Welcher Leser erkennt einen Erfolg, der aus dem Buch herausgenommen
sich auch nur aufrecht erhalten kann. Ich freue mich, dass Du es liest.
Hoffentlich stört Dich Muzzi nicht zu sehr, wenn sie am Tischrand
das Wasser aufdreht. Viele Grüße an Dich und sie.
Franz
Zeilen im Buch: Vermutlich die später in diesem
Brief erwähnten Zeilen, die Felice ihm in eine als Geschenk übersandte
Ausgabe von Flauberts Salammbô geschrieben hatte.
im Richtigen: Kafka übersetzt hier wörtlich
den Ausdruck dans le vrai aus einer Wendung Flauberts, welche die Nichte
des Dichters, Caroline Commanville, in ihren Kafka bekannten Souvenirs
intimes zitierte. Kafka hat das Flaubertsche Ils sont dans le vrai
in Gesprächen oft gebraucht, wobei er sich als einen Menschen sah,
der außerhalb des >Richtigen< lebte. Vgl. Brod, Biographie,
S. 121f. und sein >Nachwort zur ersten Ausgabe< von Kafkas Roman Das
Schloß, S. 484 f.
Memoiren: Vermutlich Lily Braun, Memoiren einer
Sozialistin, 2 Bde., München 1909 - Vgl. Brief an M.E. [November/Dezember]
1920, Briefe, S. 282.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at