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An Felice Bauer

[Ankunftsstempel: Berlin - 6. 5. 15]
 


Nicht so schreiben, Felice. Du hast unrecht. Es sind Mißverständnisse zwischen uns, deren Lösung allerdings ich bestimmt erwarte, wenn auch nicht in Briefen. Ich bin nicht anders geworden (leider), die Waage, deren Schwanken ich darstelle, ist die gleiche geblieben, nur die Gewichtsverteilung ist ein wenig verändert, ich glaube, mehr über uns beide zu wissen und habe ein vorläufiges Ziel. Wir werden Pfingsten darüber sprechen, wenn es möglich sein wird. Glaube nicht, Felice, dass ich nicht alle hindernden Überlegungen und Sorgen als fast unerträgliche und widerliche Last empfinde, alles am liebsten abwerfen wollte, den geraden Weg allen andern vorziehe, gleich und jetzt im kleinen natürlichen Kreis glücklich sein und vor allem glücklich machen wollte. Es ist aber unmöglich, die Last ist mir nun einmal auferlegt, die Unzufriedenheit schüttelt mich, und sollte ich auch das Mißlingen ganz klar vor Augen haben, und nicht nur das Mißlingen, sondern auch den Verlust aller Hoffnungen und das Heranwälzen aller Verschuldung - ich könnte mich wohl nicht zurückhalten. Warum glaubst Du übrigens, Felice - es scheint wenigstens, dass Du es manchmal glaubst - an die Möglichkeit eines gemeinsamen Lebens hier in Prag? Früher hattest Du doch schwere Zweifel daran. Was hat sie beseitigt? Das weiß ich noch immer nicht.

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Und nun wieder die Zeilen im Buch. Es macht mich unglücklich, das zu lesen. Nichts ist zuende, kein Dunkel, keine Kälte. Aber ich fürchte mich fast, das niederzuschreiben, es ist, als bestätigte ich erst die Tatsache, dass solche Dinge wirklich niedergeschrieben werden konnten. Was für Mißverständnisse häufen sich wieder auf.

Sieh, Felice, das einzige, was geschehen ist, ist, dass meine Briefe seltener und anders geworden sind. Was war das Ergebnis der häufigen und andern Briefe? Du kennst es. Wir müssen neu anfangen. Das Wir bedeutet aber nicht Dich, denn Du warst und bist im Richtigen, soweit es auf Dich allein ankam; das Wir bedeutet vielmehr mich und unsere Verbindung. Zu einem solchen Anfang aber taugen Briefe nicht, und wenn sie doch nötig sind - sie sind nötig -, dann müssen sie anders sein als früher. Im Grunde aber, Felice, im Grunde. - Erinnerst Du Dich der Briefe, die ich Dir vor etwa zwei Jahren, es dürfte etwa in diesem Monat gewesen sein, nach Frankfurt geschrieben habe? Glaube mir, ich bin im Grunde gar nicht weit entfernt davon, sie gleich jetzt wieder zu schreiben. Auf der Spitze meiner Feder lauern sie. Sie werden aber nicht geschrieben.

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Warum weißt Du nicht, dass es ein Glück für mich wäre (und unser Glück, vielleicht nicht unser Leid, aber jedenfalls unser Glück soll gemeinsam sein trotz Salammbô, gegen die ich übrigens immer Verdacht hatte; in die Éducation hättest Du es nicht hineinschreiben können) also dass es ein Glück für mich wäre, Soldat zu werden, vorausgesetzt allerdings, dass es meine Gesundheit aushält, was ich aber hoffe. Ende dieses Monats oder anfangs des nächsten komme ich zur Musterung. Du sollst wünschen, dass ich genommen werde, so wie ich es will.

Und Pfingsten kommen wir zusammen. Schade, dass ich noch keine Nachricht von Dir habe. Hättest Du nur einen kleinen Einwand dagegen, nach Bodenbach zu fahren, werde ich versuchen, einen Paß zu bekommen und Dich zu besuchen; wenn es sein muß auch in Berlin.

Die Memoiren sollen nicht Deine Gesinnung bilden oder beeinflussen, das war nicht meine Absicht. Aber das Leben dieses Menschen ist wirklich mitlebenswert. Wie er sich opfern will und opfern kann! Ein förmlicher Selbstmord und eine Auferstehung bei Lebzeiten. Und wofür opfert er sich? Welcher Leser erkennt einen Erfolg, der aus dem Buch herausgenommen sich auch nur aufrecht erhalten kann. Ich freue mich, dass Du es liest. Hoffentlich stört Dich Muzzi nicht zu sehr, wenn sie am Tischrand das Wasser aufdreht. Viele Grüße an Dich und sie.

Franz




Zeilen im Buch: Vermutlich die später in diesem Brief erwähnten Zeilen, die Felice ihm in eine als Geschenk übersandte Ausgabe von Flauberts Salammbô geschrieben hatte.


im Richtigen: Kafka übersetzt hier wörtlich den Ausdruck dans le vrai aus einer Wendung Flauberts, welche die Nichte des Dichters, Caroline Commanville, in ihren Kafka bekannten Souvenirs intimes zitierte. Kafka hat das Flaubertsche Ils sont dans le vrai in Gesprächen oft gebraucht, wobei er sich als einen Menschen sah, der außerhalb des >Richtigen< lebte. Vgl. Brod, Biographie, S. 121f. und sein >Nachwort zur ersten Ausgabe< von Kafkas Roman Das Schloß, S. 484 f.


Memoiren: Vermutlich Lily Braun, Memoiren einer Sozialistin, 2 Bde., München 1909 - Vgl. Brief an M.E. [November/Dezember] 1920, Briefe, S. 282.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at