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An Felice Bauer
11. II. 15
Ich werde klagen F., klagen bis mir
leichter wird. Du wirst aber nicht lachen? Meiner Arbeit ging es
verhältnismäßig gut bis einige Tage vor Bodenbach, da mußte der
Bruder des Schwagers einrücken, die Fabrik, das Jammerbild einer
Fabrik, fiel an mich. Die Quälereien, die sie mir schon lange
vorher, seit ihrem Bestand fast, bereitet hat (sinnlos, denn sie hat
wahrhaftig keinen Vorteil davon), sind nicht zu Ende zu erzählen.
Jetzt aber mußte ich wirklich heran und jeden Tag hingehn, an Arbeit
war nicht mehr zu denken trotz Einsetzens der letzten Willenskraft.
Die Fabrik stand ja still, aber immerhin ist ein Lager da, Gläubiger
und Kunden müssen vertröstet werden u.s.w., ich mußte die Arbeit,
die ich gerade in der letzten Zeit besonders festgehalten hatte, aus
der Hand lassen. Aber die Sache besserte sich bald, wenigstens
vorläufig, der Bruder des Schwagers dient jetzt in Prag, kann also
für 1-2 Stunden nach der Fabrik sehn, für mich war das sofort ein
Zeichen zurück[zu]treten. Wieder saß ich in der stillen Wohnung und
suchte mich von neuem einzugraben. Es ist für mich sehr schwer, mich
nach einer Pause wieder zurückzufinden, es ist, als sei die mit
vieler Plage aufgesprengte Tür wieder unbeobachtet ins Schloß
gefallen, darin liegt gewiß ein Verdachtsgrund gegen meine
Fähigkeiten. Immerhin gelang es mir endlich wieder hineinzukommen,
ich war wie verwandelt. Warum geschieht es nicht einmal, dass ich
dort statt der bezwungenen Arbeit Dich finde. Das Glück dauerte nur
zwei Tage, denn ich mußte übersiedeln. Was das Wohnungssuchen
bedeutet, wissen wir beide. Was für Zimmer habe ich jetzt wieder
gesehn! Man muß glauben, dass sich die Leute unwissend oder
mutwillig im Schmutz begraben. Wenigstens ist es hier so, sie fassen
Schmutz, ich meine überladene Kredenzen, Teppiche vor dem Fenster,
Photographieaufbaue auf den mißbrauchten Schreibtischen,
Wäscheanhäufungen in den Betten, Kaffeehauspalmen in den Winkeln,
alles dieses fassen sie als Luxus auf. Aber mir liegt ja an allem
nichts. Ich will nur Ruhe, aber eine Ruhe, für welche den Leuten der
Begriff fehlt. Sehr verständlich, kein Mensch braucht im
gewöhnlichen Haushalt die Ruhe, die ich brauche; zum Lesen, zum
Lernen, zum Schlafen, zu nichts braucht man die Ruhe, die ich zum
Schreiben brauche. Seit gestern bin ich in meinem
neuen Zimmer und habe gestern abend
Verzweiflungsanfälle gehabt, dass ich glaubte, die Notwendigkeit aus
dem Zimmer und aus der Welt hinauszukommen sei für mich die gleiche.
Und dabei geschah nichts besonderes, alle sind rücksichtsvoll, meine
Wirtin verflüchtigt sich zum
Schatten mir zuliebe, der junge Mensch, der neben mir wohnt, kommt
abend müde aus dem Geschäft, macht paar Schritte und liegt schon im
Bett. Und trotzdem, die Wohnung ist eben klein, man hört die Türen
gehn; die Wirtin schweigt den ganzen Tag, paar Worte muß
sie mit dem andern Mieter vor dem Schlafengehn
noch flüstern; sie hört man kaum, den Mieter doch ein wenig: die
Wände sind eben entsetzlich dünn; die Schlaguhr in meinem Zimmer
habe ich zum Leidwesen der Wirtin eingestellt, es war mein erster
Weg, als ich eintrat, aber die Schlaguhr
im Nebenzimmer schlägt dafür desto lauter, die Minuten suche ich zu
überhören, aber die halben Stunden
sind überlaut angezeigt, wenn auch melodisch; ich kann nicht den
Tyrannen spielen und die Einstellung auch dieser Uhr verlangen. Es
würde auch nichts helfen, ein wenig flüstern wird man immer, die
Türglocke wird läuten, gestern hat der Mieter zweimal gehustet,
heute schon öfter, sein Husten tut mir mehr weh als ihm [*].
Ich kann keinem böse sein, die Wirtin hat sich früh wegen des
Flüsterns entschuldigt, es sei nur ausnahmsweise gewesen, weil der
Mieter (meinetwegen) das Zimmer gewechselt hat und sie ihn in das
neue Zimmer einführen wollte, auch werde sie vor die Tür einen
schweren Vorhang hängen. Sehr lieb, aber aller Voraussicht nach
werde ich Montag kündigen. Allerdings, ich bin so verwöhnt durch
die stille Wohnung, aber anders kann ich nicht leben. Lache nicht,
F., finde mein Leiden nicht verächtlich, gewiß, so viele leiden
jetzt, und was ihr Leiden verursacht, ist mehr als ein Flüstern im
Nebenzimmer, aber gerade im besten Fall kämpfen sie für ihre
Existenz oder richtiger für die Beziehungen, die ihre Existenz zur
Gemeinschaft hat, nicht anders ich, nicht anders ein jeder. Begleite
mich mit guten Wünschen auf der Wohnungssuche.
Auf Deinen Brief antworte ich noch.
Wann verreist Du wieder? Letzthin
stand in einem Feuilleton ein Abschnitt über die Umwandlung einer
Grammophonfabrik in eine Konservenfabrik, es war zweifellos Euere
Fabrik beschrieben, es hat mich sehr gefreut, das zu lesen. Das ist
doch eine Fabrik, zu der ich herzlichere Beziehungen habe als zu der
meinen. Herzliche und gute Grüße
Franz
Wie hat Dir Werfel gefallen?
meinem neuen Zimmer: Kafkas erstes eigenes Zimmer in der Bilekgasse, in dem selben Haus, in dem die Wohnung seiner Schwester Valli Pollak war. Vgl. Tagebücher (10. Februar 1915). S. 463.
*: Vgl. zu dieser Beschreibung die Situation des Erzählers in dem Stück "Der Nachbar", Beschreibung eines Kampfes, S. 131 ff. Nach der Datierung von Pasley und Wagenbach ist dieses Stück Mai/Juni 1917 entstanden. Vgl. Kafka-Symposion. S. 82