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An Ernst Feigl

[Postkarte. Prag, Stempel: 18. IX. 1915]
 

Lieber Herr Feigl, hätte mich nicht der Zustand meines Kopfes gehindert (er war allerdings seit fast undenklichen Zeiten nicht besser und wird es in undenklichen Zeiten nicht werden) ich hätte Ihnen schon früher geschrieben. Ich habe die Gedichte oft gelesen und bin ihnen, glaube ich, nähergekommen; sie verlocken mich sehr und beherrschen mich zum Teil geradezu. Sonderbar die Mischung von Hoffnung und Verzweiflung in ihnen und die Undurchdringlichkeit dieser Mischung, die aber etwas durchaus Stärkendes hat. Ich möchte fast in jedem Gedichte Sie hören wollen. Kommen Sie bitte, wann Sie wollen, zu mir ins Bureau, ich bin dort immer bis 2 Uhr, es müßte ein außergewöhnlicher Zufall sein, dass ich weg wäre. Bedenken Sie, das muß ich noch sagen, bei jedem meiner Worte den Vorbehalt, den ich über meine Unzulänglichkeit Gedichten gegenüber machte. Mit herzlichsten Grüßen

Kafka.




Ernst Feigl gewann später durch seine volkstümlichen, von echtem Mitleid mit den Ärmsten getragenen Gerichtssaalberichte im "Prager Tagblatt" einen klangvollen Namen


Gedichte : Siehe den Brief an den Verlag Kurt Wolff vom 30. IX. 1916


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at