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An Ernst Feigl
Lieber Herr Feigl, hätte mich nicht der Zustand meines Kopfes gehindert
(er war allerdings seit fast undenklichen Zeiten nicht besser und wird
es in undenklichen Zeiten nicht werden) ich hätte Ihnen schon früher
geschrieben. Ich habe die Gedichte oft gelesen und bin
ihnen, glaube ich, nähergekommen; sie verlocken mich sehr und beherrschen
mich zum Teil geradezu. Sonderbar die Mischung von Hoffnung und Verzweiflung
in ihnen und die Undurchdringlichkeit dieser Mischung, die aber etwas durchaus
Stärkendes hat. Ich möchte fast in jedem Gedichte Sie hören
wollen. Kommen Sie bitte, wann Sie wollen, zu mir ins Bureau, ich bin dort
immer bis 2 Uhr, es müßte ein außergewöhnlicher Zufall
sein, dass ich weg wäre. Bedenken Sie, das muß ich noch
sagen, bei jedem meiner Worte den Vorbehalt, den ich über meine Unzulänglichkeit
Gedichten gegenüber machte. Mit herzlichsten Grüßen
Kafka.
Ernst Feigl gewann später durch seine volkstümlichen,
von echtem Mitleid mit den Ärmsten getragenen Gerichtssaalberichte
im "Prager Tagblatt" einen klangvollen Namen
Gedichte : Siehe den Brief an den Verlag Kurt Wolff
vom 30. IX. 1916
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at