Voriger Eintrag Jahresübersicht | IndexseiteNächster Eintrag

[Tagebuch, 27. Dezember 1914; Sonntag]

27 (Dezember 1914)

Ein Kaufmann war vom Unglück sehr verfolgt. Er trug es lange, aber schließlich glaubte er es nicht mehr ertragen zu können und gieng zu einem Gesetzeskundigen. Er wollte ihn um Rat bitten und erfahren, was er tun solle, um das Unglück abzuwehren oder um sich zum Ertragen des Unglücks fähig zu machen. Dieser Gesetzeskundige hatte vor sich immer die Schrift aufgeschlagen und studierte in ihr, er hatte die Gewohnheit, jeden der um Rat kam, mit den Worten zu empfangen: "Gerade lese ich von Deinem Fall" hiebei zeigte er mit dem Finger auf eine Stelle der vor ihm liegenden Seite. Dem Kaufmann, der auch von dieser Gewohnheit gehört hatte, gefiel sie nicht, zwar sprach sich der Gesetzeskundige dadurch sofort die Möglichkeit zu, dem Bittsteller zu helfen und nahm diesem die Furcht von einem im Dunkel wirkenden, niemandem mit teilbaren, von niemandem mitzufühlenden Leid getroffen zu sein, aber die Unglaubwürdigkeit der Behauptung war doch zu groß und sie hatte den Kaufmann sogar davon abgehalten, schon früher zu diesem Gesetzeskundigen zu gehn. Noch jetzt trat er zögernd bei ihm ein.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at