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[Tagebuch, 19. Dezember 1914; Samstag]

19. (Dezember 1914) Gestern den "Dorfschullehrer" fast bewußtlos geschrieben, fürchtete mich aber länger als ½2 zu schreiben, die Furcht war begründet, ich schlief fast gar nicht, machte nur etwa 3 kurze Träume durch und war dann im Bureau in entsprechendem Zustand. Gestern die Vorwürfe des Vaters wegen der Fabrik: "Du hast mich hineingetanzt. " Gieng dann nachhause und schrieb ruhig 3 Stunden, im Bewußtsein dessen, dass meine Schuld zweifellos ist, wenn auch nicht so groß, wie sie der Vater darstellt. Gieng heute Samstag nicht zum Nachtmahl, teils aus Furcht vor dem Vater, teils um die Nacht für die Arbeit ganz auszunützen, ich schrieb aber nur eine und nicht sehr gute Seite.

Anfang jeder Novelle zunächst lächerlich. Es scheint hoffnungslos, dass dieser neue noch unfertige überall empfindliche Organismus in der fertigen Organisation der Welt sich wird erhalten können, die wie jede fertige Organisation danach strebt sich abzuschließen. Allerdings vergißt man hiebei, dass die Novelle falls sie berechtigt ist, ihre fertige Organisation in sich trägt, auch wenn sie sich noch nicht ganz entfaltet hat; darum ist die Verzweiflung in dieser Hinsicht vor dem Anfang einer Novelle unberechtigt; ebenso müßten Eltern vor dem Säugling verzweifeln, denn dieses elende und besonders lächerliche Wesen hatten sie nicht auf die Welt bringen wollen. Allerdings weiß man niemals, ob die Verzweiflung die man fühlt die berechtigte oder die unberechtigte ist. Aber einen gewissen Halt kann diese Überlegung geben, das Fehlen dieser Erfahrung hat mir schon geschadet.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at