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[Tagebuch, 9. Dezember 1914; Mittwoch]

9 XII 14 Mit Emil Kafka aus Chicago beisammen. Er ist fast rührend. Beschreibung seines ruhigen Lebens. Von 8 - 1/2 6 im Warenhaus. Durchsicht der Versendungen in der Wirkwarenabteilung. 15 Dollars wöchentlich. 14 Tage Urlaub, davon 1 Woche mit Gehalt, nach 5 Jahren die ganzen 14 Tage Gehalt. Eine Zeitlang, als in der Wirkwarenabteilung wenig zu tun war, hat er in der Fahrräderabteilung ausgeholfen. 300 Räder pro Tag werden verkauft. Ein Engrosgeschäft mit 10000 Angestellten. Anwerbung der Kunden geschieht nur durch Katalogversendung. Die Amerikaner wechseln gerne die Posten, im Sommer drängen sie sich überhaupt nicht sehr zur Arbeit, er aber wechselt nicht gern, er sieht nicht den Vorteil dessen ein, man verliert dabei Zeit und Geld. Er war bisher in 2 Posten in jedem 5 Jahre und wird, wenn er zurückkommt - er hat unbeschränkten Urlaub - wieder in den gleichen Posten eintreten, man kann ihn immer brauchen, allerdings auch immer entbehren. Abends ist er meistens zuhause, eine Skatpartie mit Bekannten; zur Zerstreuung einmal eine Stunde im Kino, im Sommer ein Spaziergang, Sonntag eine Fahrt auf dem See. Vor dem Heiraten hütet er sich, trotzdem er schon 34 Jahre alt ist, denn die Amerikanerinnen heiraten oft nur, um sich scheiden zu lassen, was für sie sehr einfach, für den Mann aber sehr teuer ist.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at