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[Tagebuch, 30. Juni 1914; Dienstag]

30 VI 14

Hellerau Leipzig mit Pick. Ich habe mich schrecklich aufgeführt. Konnte nicht fragen, nicht antworten, nicht mich bewegen, knapp noch in die Augen sehn. Mann der für den Flottenverein wirbt, das dicke Wurstessende Paar, Thomas bei dem wir wohnen, Prescher, der uns hinführt, Frau Thomas, Hegner, Fantl und Frau, Adler, Frau und Kind Anneliese, Frau Dr. Kraus, Frl. Pollak, die Schwester der Frau Fantl, Katz, Mendelssohn (Kind des Bruders, Alpinum, Engerlinge, Fichtennadelbad) Waldschenke, "Natura" Wolff, Haas, Vorlesung von Narciss, im Garten von Adler, Besichtigung des Dalcrozehauses, Abend in der Waldschenke - Bugra - Schrecken über Schrecken. Mißlungenes: Nichtfinden der "Natura", Ablaufen der Struvestraße; falsche Elektrische nach Hellerau, kein Zimmer in der Waldschenke; Vergessen, dass ich mich von Erna dort antelephonieren lassen will daher Umkehr; Fantl nicht mehr getroffen; Dalcroze in Genf; nächsten Morgen zu spät in die Waldschenke gekommen (F. hat nutzlos telephoniert); Entschluß nicht nach Berlin sondern nach Leipzig zu fahren; sinnlose Fahrt; irrtümlicher Weise Personenzug; Wolff fährt gerade nach Berlin; Lasker-Schüler belegt Werfel; sinnloser Besuch der Ausstellung; schließlich zum Abschluß im Arco ganz sinnlos Pick um eine alte Schuld gemahnt.

Opmerking :Waar hoort dit

Ich trete aus dem Haus um einen kleinen Spaziergang zu machen. Es ist schönes Wetter aber die Gasse ist auffallend leer, nur in der Ferne steht ein städtischer Bediensteter mit dem Wasserschlauch in der Hand und spritzt einen ungeheueren Bogen Wassers die Gasse entlang. "Unerhört" sage ich und prüfe die Spannung des Bogens. "Ein kleiner städtischer Bediensteter" sage ich und blicke wieder auf den Mann in der Ferne. An der Ecke der nächsten Quergasse fechten zwei Herren, stoßen zusammen, fliegen eine weite Strecke auseinander, belauern einander und sind schon wieder beisammen. "Hört doch zu fechten auf, Ihr Herren" sage ich.

Der Student Kosel saß an seinem Tisch und studierte. Er war so in seine Arbeit vertieft, dass er das Dunkelwerden gar nicht merkte, das in diesem schlecht gelegenen Hofzimmer trotz des hellen Maitages schon gegen vier Uhr nachmittag begann. Die Lippen aufgestülpt, die Augen ohne es zu wissen tief zum Buch geneigt, las er. Manchmal unterbrach er sich, schrieb in ein Heftchen kurze Auszüge des Gelesenen ein und murmelte dann mit geschlossenen Augen das Geschriebene auswendig vor sich hin. Gegenüber seinem Fenster, nicht fünf Meter weit war eine Küche, in der ein Mädchen Wäsche bügelte und manchmal zu Kosel hinübersah.

Plötzlich legte Kosel den Bleistift hin und horchte zur Decke hinauf. Irgendjemand gieng, offenbar bloßfüßig, in dem Zimmer oben herum und machte Runde um Runde. Bei jedem Schritt patschte es laut auf, wie wenn man ins Wasser tritt. Kosel schüttelte den Kopf. Diese Spaziergänge oben, die er seit dem Einzug eines neuen Mieters, etwa seit einer Woche erdulden mußte, bedeuteten wenn er sich nicht irgendwie wehrte das Ende nicht nur seines heutigen Studiums, sondern seines Studiums überhaupt. Kein durch geistige Arbeit angestrengter Kopf konnte das ertragen.

Es gibt irgendwelche Beziehungen, die ich deutlich fühle, die ich aber zu erkennen nicht imstande bin. Es würde genügen, ein kleines Stück tiefer unterzutauchen, aber gerade hier wird der Auftrieb so stark, dass ich glauben könnte auf dem Grunde des Wassers zu sein, fühlte ich nicht die Strömungen unter mir ziehn. Jedenfalls wende ich mich der Höhe zu, von wo mich der tausendfach gebrochene Schein des Lichtes trifft. Ich steige und treibe mich oben herum, trotzdem ich alles Obere hasse und von ihm

"Herr Direktor, ein neuer Schauspieler ist gekommen" hörte man deutlich den Diener melden, denn die Tür ins Vorzimmer war vollständig geöffnet. "Ich will Schauspieler erst werden" sagte Karl für sich und stellte so die Meldung des Dieners richtig. "Wo ist er?" sagte der Direktor und streckte den Hals.

Opmerking : waar behoort het voorafgaande

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at