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Frau Julie Kafka an Frau Anna Bauer


[Monogramm am Kopf des Bogens >H.K.<]

Prag 20.7.1914
 

Meine l. Anna!

Ich kann Dich nicht anders nennen, denn ich bin Dir gut. Wenn sich auch unsere Kinder entzweit haben, darf unsere Freundschaft nicht wanken und nicht darunter leiden. Was zwischen ihnen vorgekommen ist, kann ich nicht begreifen, es ist mir unverständlich. Dienstag kam von Franz ein Brief von Berlin. Wir hatten viel zu thun. Der l. Hermann reichte mir den Brief uneröfnet und ich ließ alles liegen u. stehn, ging ins Comptoir um nicht beim lesen gestört zu sein. Wer mich beim lesen beobachtet hätte, würde sicher über mein Aussehn erschrocken sein, denn ich war zur Salzsäule erstarrt, alles hätte ich eher gedacht als dieß. Ich war den ganzen Tag wie zerschlagen und war nur froh, dass mich mein Alter nicht gefragt hat, was Franz schreibt. Er hat in der Beschäftigung vergessen, dass ein Brief von Franz kam. Erst den zweiten Tag, nachdem er ausgeschlafen hat, habe ich ihn gefragt, ob er gar nicht neugierig ist was sein Sohn schreibt u. da habe ich ihm den Brief vorgelesen. Du kannst Dir denken wie ihm dabei war. Du würdest mir einen großen Gefallen erweisen, wenn Du mir den Brief, der so verhängnisvoll war, einschicken würdest, denn ich kann gar nicht begreifen, was darin so Schreckliches stand. Daß Franz Felice in seiner Art sehr gerne hatte, weis ich. Er hatte aber nie die Gabe besessen, seine Liebe wie andere Menschenkinder zu zeigen. Ich bin davon fest überzeugt, dass er mich zärtlich liebt, er hat mir trotzdem nie besondere Zärtlichkeit bewiesen, auch dem Vater und seinen Schwestern nicht und doch ist er der beste Mensch, den Du Dir denken kannst. Sein Geld theilt er mit seinen armen Kollegen, denn für seine Bedürfnisse braucht er nicht viel. Vielleicht ist er nicht für die Ehe geschaffen, denn sein trachten ist nur sein Schreiben, das ist ihm das Wichtigste im Leben. Dabei baute ich auf die Klugheit Felicens, denn ich sagte mir, dass eine gescheite Frau die Kraft besitzt, einen Mann umzumodln. Nunn ging meine Hoffnung in Brüche. Vielleicht müssen wir doch noch nicht die Flinte ins Korn werfen. Die Kinder sollen nicht gänzlich die Freundschaft brechen, sie mögen sich ein Jahr gegenseitig prüfen, es hat ja keine Eile mit dem Heiraten, sie sind noch jung u. können warten. Dieß ist meine Meinung u. bitte ich Dich um die Deinige.

Heute kam ein Brief von meinem Bruder Alfred aus Madrid, der mich wieder vom frischen aufregte. Er schickte beiliegend einen Scheck auf den Betrag von 1000 Kronen als Hochzeitsgeschenk für Franz u. Felice. Ich schrieb ihm auch jetzt Abend einen Brief in welchem ich anfrage, wie ich ihm das Geld zurückschicken kann. Ich schreibe diesen Brief um 10 Uhr Abend, denn bei Tag habe ich keine Minutte Zeit. Das Armband welches ich Felice schenkte, soll sie als Andenken an eine mütterliche Freundin behalten. Ich muß schließen, denn das Papier geht zu Ende. Ich grüße Dich herzlichst, so wie auch alle Deine Lieben und bleibe freundschaftlichst


Deine Julie Kafka

Von unserem l. Manne u. Kindern folgen viele Grüße.




den Brief : Vermutlich einer der Briefe an Grete Bloch aus der Zeit von Anfang Mai bis Ende Juni 1914. In diesen Briefen sind mehrere Zeilen die starke Zweifel Kafkas an der Möglichkeit einer Ehe mit Felice ausdrücken, wahrscheinlich von Grete Bloch zum Zweck der Zitierung beim "Gerichtshof im Hotel" (Askanischer Hof), rot unterstrichen worden. Vgl. in Kafkas Brief an Grete Bloch vom 3. Juli 1914: "Sie hätten keine Briefe citieren müssen...", S. 608.


für seine Bedürfnisse braucht er nicht viel: Vgl. Wagenbach, Biographie, S. 149.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at