Voriger Eintrag Jahresübersicht | IndexseiteNächster Eintrag

 

Frau Julie Kafka an Frau Anna Bauer


[Monogramm am Kopf des Bogens >H.K.<]

Prag, 4.7.1914
 


Meine liebe Anna!

Dein schöner lieber Brief hat mich beschämt und ich bitte Dich, mir wegen meines langen Stillschweigens nicht böse zu sein. Ich war jetzt immer so beschäftigt, dass ich faktisch nicht die richtige Muße hatte, mich zum Schreiben zu setzen, es geht mir so ähnlich wie Dir. Du hast Deine Plage mit der Wirtschaft und ich mit dem Geschäfte. Die Hauptsache aber ist, dass wir alle gesund sind und es freut uns zu hören, dass die l. Tante Emilie eine Sommerfrische sucht, denn bei dieser Hitze, wie sie in Prag ist und wahrscheinlich nicht weniger in Berlin, kann man sich nur am Lande nach einem Unwohlsein am besten erholen. Wäre ihr nicht Franzensbad zu empfehlen? Sie sollte jedenfalls einen Arzt fragen.

Wir haben uns in Franzensbad sehr erholt. Wir hatten vor 12 Tagen einen sehr lieben Besuch meines Bruders Alfred aus Madrid. Leider hatte er sich nur 4 Tage bei uns aufgehalten aber es waren schöne Stunden, die wir mit ihm verlebten. Es war ihm leid, Euch nicht besuchen zu können, denn er hätte sehr gerne unsere liebe Felice gesehen und umarmt. Er versprach jedoch, so Gott will, sicher nächstes Jahr wieder zu kommen, da er zum Congres nach Berlin fahren muß und so wird er die Gelegenheit haben, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden und Euch zu besuchen. Vom l. Karl, Deinem liebenswürdigen Manne, hatten wir einen sehr schönen Brief und ich werde trachten, seine herzlichen Zeilen so bald als möglich zu erwidern und bitte Dich, ihm dann das Schreiben nachzuschicken.

Für die Wohnung interessiere ich mich sehr, aber leider kann ich nichts veranlassen, bis sie geräumt wird und dies wird wahrscheinlich nicht früher sein, als am 14. August, dann werde ich schon schauen, dass sie schön hergerichtet wird. Ich weiß mich nicht zu erinnern, ob bei den Möbeln im Schlafzimmer oder Herrenzimmer ein Schlafdivan sein wird, denn man muß auch an das Praktische denken, wenn sie Besuch bekommen, wohin dann das Haupt niederlegen. Ich würde dann dem Franz ein Gastbett herrichten, Pölster und Federbett und Decke und würde Dich ersuchen um das Maas von den Überzügen, damit sie auch auf die Betten, die Felice bekommt, passen. Natürlich muß [es] ein Patentschlafsofa sein, wo man die Betten bei Tag aufbewahren kann. Bitte mir darüber zu schreiben.

Jetzt schaue ich auf die Uhr und sehe, dass schon 11 Uhr Abend ist. Mein lieber Hermann ist nach Radesovitz zu den Kindern gefahren und ich sitze und schreibe und bin mit meinen Gedanken bei Euch. Bei Tag komme ich absolut nicht dazu, einen Privat-Brief zu schreiben. Wenn man so allein im Zimmer ist und Ruhe hat, so geht es rascher. Ottla ist schon im Bett und Franz arbeitet in seinem Zimmer. Ich habe ihn soeben überrascht und gesehen, wie er mit Wonne die Fotografie der l. Felice betrachtet. Sie ist aber wirklich sehr gelungen. Sie ist sprechend ähnlich. Nun das Papier geht zur Neige, die Augen sind fast geschlossen und so muß ich schließen und zwar mit vielen vielen Grüßen von mir, dem l. Vater und Kindern, die alle gesund und frisch sind, und bleibe in Freundschaft Dich herzlichst umarmend

Julie Kafka


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at