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An Grete Bloch

8. VI. 14
 


Liebes Fräulein Grete, habe ich wirklich so jammervoll geschrieben? Nun, es ist nicht ganz so schlimm, wenigstens nicht dauernd so schlimm. Setzt man sich zum Schreiben, so sammelt sich alles und nichts will vergessen sein, weil der Brief an Sie geht und von Ihnen für jedes die gute und liebe Antwort kommt. Schließlich bleibt dann für mich die Selbstberuhigung, dass ich doch nicht alles geschrieben habe und dadurch ein Recht habe, den Trost aus Ihren Briefen ganz in mich hineinzutrinken.

Ich werde im Juli irgendwo in einen Wald übersiedeln und an mir zu bessern suchen, was in der Eile möglich sein wird. Bei uns pflegen die Eltern zu sagen, dass man an den Kindern merkt, wie alt man wird. Wenn man keine Kinder hat, muß man es an seinen Gespenstern merken und man merkt es um so gründlicher. Ich weiß, als ich jung war, lockte ich sie so hervor, sie kamen kaum, ich lockte sie stärker, ich langweilte mich ohne sie, sie kamen nicht und ich dachte schon, sie würden niemals kommen. Ich war aus diesem Grunde schon oft nahe daran, mein Leben zu verfluchen. Später kamen sie doch, nur hie und da, es war immer hoher Besuch, man mußte Verbeugungen machen, trotzdem sie noch ganz klein waren, oft waren sie es gar nicht, es sah bloß so aus oder klang bloß so, als ob sie es wären. Kamen sie aber wirklich, so waren sie mir selten wild, sehr stolz konnte man auf sie nicht sein, sie sprangen einen höchstens so an wie der kleine Löwe die Hündin, sie bissen, aber man bemerkte es nur, wenn man mit dem Finger die gebissene Stelle fixierte und mit dem Fingernagel nachdrückte. Später aber wurden sie größer, kamen und blieben nach Belieben, zarte Vogelrücken wurden Rücken von Denkmalsriesen, sie kamen durch alle Türen, die geschlossenen drückten sie ein, es waren große knochige, in der Menge namenlose Gespenster, mit einem konnte man kämpfen, aber nicht mit allen, die einen umstanden. Schrieb man, so waren es lauter gute Geister, schrieb man nicht, so waren es Teufel und man konnte nur noch gerade aus ihrem Gedränge die Hand heben, um zu zeigen, wo man war. Wie man die Hand oben verrenkte, dafür war man wohl nicht verantwortlich. Daß Sie es jetzt besser haben, ist ein von Ihnen so verdientes Glück, dass man es als etwas ganz Selbstverständliches hinnehmen sollte. Was müssen Sie in den letzten Monaten gelitten haben, und ich schrieb immerfort und anfangs sogar hinterhältig nur von mir! In Ihr häusliches Unglück habe ich natürlich keinen Einblick, aber glauben Sie nicht, dass das, was Sie dort gequält hat und quält, alle guten Gegenkräfte erzeugt hat, mit denen Sie jetzt gegenüber der Welt so gut auszukommen wissen. [Strindbergs "Totentanz" kenne ich übrigens nicht, weiß nicht, was Sie damit meinen; spielt es nicht in einem Leuchtturm?

Das wollte ich sagen. Mühen Sie sich nicht mit dem Schreiben an mich, gehn Sie früher aus dem Bureau. Paar Zeilen genügen mir, die allerdings brauche ich. Zwei Sätze und Ihre Unterschrift genügt. Und wenn ich allzu sehr klage, verzeihen Sie. Es ist ja alles zu ertragen, das Leid bleibt zwar, aber die Tage wechseln, der Ausdruck des Leides wechselt, die Widerstandskraft wechselt und so wird man im Wechsel halb lebendig doch noch hingetragen.

FranzK.


[Am Rande] Ich habe keine Karte vom Sonntag bekommen.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at