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An Grete Bloch

6. VI 14
 


Liebes Fräulein Grete, gestern war wieder ein Tag, an dem ich vollständig gebunden war, unfähig, mich zu rühren, unfähig, den Brief an Sie zu schreiben, zu dem mich alles drängte, was in mir noch Rest des Lebens war. Manchmal - Sie sind die einzige, die es vorläufig erfährt - weiß ich wirklich nicht, wie ich es verantworten kann, so wie ich bin zu heiraten. Eine auf die Festigkeit der Frau begründete Ehe? Das wird ein schiefes Gebäude, nicht? Es stürzt ein und reißt noch den Grund aus der Erde heraus.

Ach Gott, ich verstand doch Fräulein Grete, was Ihre Beurteilung des Schreibens bedeutete. Aber auch gut verstanden, ist sie nicht richtig, wenn sie auch allerdings befolgt wird. Jeder bringt sich auf seineweise aus der Unterwelt hinauf, ich durch das Schreiben. Dar um kann ich mich, wenn es sein soll, nur durch das Schreiben, nicht durch Ruhe und Schlaf, oben erhalten. Viel eher gewinne ich Ruhe durch das Schreiben, als das Schreiben durch Ruhe.

Aber ich rede immerfort von mir, schon das allein zeigt das Wesen meines Zustandes an. Ich glaube, ich habe das auch in Berlin getan, trotzdem ich doch wissen mußte, dass ich sichtbar und lebendig nur dann eigentlich bin, wenn ich das, was mich betrifft, möglichst tief hinunterdrücke.

Gefreut hat mich, nicht nur als Bestätigung meiner Voraussage, dass Sie sich in Berlin trotz Ihrer gegenteiligen Behauptung besser befinden als in Wien. Sie befinden sich besser. Sie haben eine bessere Stellung, arbeiten lieber (es gibt keinen "Stall" mehr), sehen Ihre Familie vor sich, gewisse quälende Phantasien der Entfernung fehlen, Berlin unterstützt Ihre Widerstandskraft wie die jedes andern. Was bedeutet es, dass die Mutter "zu aufmerksam" für Sie sorgt?

Mit dem, was ich über Ihren Bruder sagte, wollte ich nicht Sie mitumfaßt haben. Hätte ich das wollen, so hätte ich noch manches ein fügen müssen, für das mir die Worte fehlen, und das ich, wenn ich die Worte hätte, nicht niederschreiben würde. Sie mögen aber recht haben und es mag vieles Gemeinsame vorhanden sein, für das mir, soweit es Ihren Bruder betrifft, natürlich der Blick fehlt. Vielleicht sind in diesem Sinn sogar in der Legende Ansätze, die mir entgehn. Das Wenige, was die jüdischen Dorfbewohner z.B. betrifft, macht den Eindruck des Wahren, ist aber allgemeine zionistische Sehnsucht und in dieser ersten kleinen Gestaltung jedem, der in der Reihe geht, erreichbar. Trotzdem, was hier vorhanden ist, würdige ich gut. Aber unüberwindbar bleibt für mich der trockene Aufbau der ganzen Allegorie, die nichts ist als Allegorie, alles sagt, was zu sagen ist, nirgends ins Tiefere geht und insTiefere zieht. Aber Sie erzählten von Novellen Ihres Bruders. Die wären zweifellos charakteristischer, denn in der Legende arbeitet er unter dem Zwang der Allegorie, anderswo ist er gewiß freier, offener, mit mehr Sicherheit zu beurteilen. Schließlich kann eine solche Arbeit wie die Legende erst am Ende eines Lebens gelingen, wenn man alle seine Kräfte entwickelt und bereit hat und es wagen kann, sie über die ganze Strecke einer Arbeit hin bewußt zu zwingen, ohne dass man sich nach den ersten Schritten von dem größten Teil verlassen sieht. Gerade so aber ist es Ihrem Bruder gegangen, ohne dass er sich in seiner Unnachgiebigkeit dadurch hätte beirren lassen.


Herzlichste Grüße, herzlichen Händedruck.

FranzK.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at