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An Grete Bloch

12.V.14
 


Liebes Fräulein Grete, so müde? Und 3 Wochen wollen Sie in diesem Provisorium noch leben, in dem Sie nicht schlafen können? Das ist doch zu viel Rücksicht der Vermieterin, zu wenig Rücksicht Ihnen gegenüber. Es tut mir leid und ärgert mich.

Es war sehr lieb von Ihnen, dass Sie in das Museum gegangen sind. Ich dachte doch nicht daran, etwas Neues zu erfahren (trotzdem auch das geschehen ist), aber ich hatte das Bedürfnis zu wissen, dass Sie im Grillparzerzimmer gewesen sind, und dass dadurch auch zwischen mir und dem Zimmer eine körperliche Beziehung entstanden ist. Mehr ergibt sich ja auch nicht, wenn man selbst dort war, viel mehr wenigstens nicht, gar im Anblick übersiedelter Schaustücke. Das Bild des Zimmers, das Sie mir schickten, ist es das Bild des wirklichen Zimmers oder des Rathauszimmers? Ein schönes Zimmer jedenfalls, in dem sich gut leben, gut im Lehnstuhl bei Sonnenuntergang schlafen ließe. Übrigens ein alter unerfüllbarer Wunsch: Vor dem Tisch bei einem großen Fenster sitzen, eine weite Gegend vor dem Fenster haben und bei Sonnenuntergang ruhig schlafen ohne die Last des Lichtes, des Ausblicks zu fühlen, unbeirrt ruhig zu atmen. Was für Wünsche! Und wie dumm ausgedrückt! So ist es nicht.

Hatten Sie übrigens nach dem "Armen Spielmann" auch den selbständigen Wunsch, das Zimmer zu sehn? Er war doch ein fürchterlicher Mensch; wenn sich unser Unglück von uns loslösen und frei umhergehen würde, es müßte ihm ähnlich sehn, jedes Unglück müßte ihm ähnlich sehn, er war lebendiges, abzutastendes Unglück. Eine kleine Geschichte aus den Tagebüchern oder Briefen: Die Verlobung war schon längst aufgelöst, nur die schwachsinnigsten Verwandten dachten noch an irgendeine ferne Möglichkeit einer Heirat, Katharina war schon längst über 30. Einmal abend ist G. bei den Schwestern zu Besuch, wie die meisten Abende; K. ist besonders lieb zu ihm, er nimmt sie halb aus Mitleid auf den Schoß - die zwei Schwestern gehn wahrscheinlich im Zimmer herum - und stellt dabei fest und schreibt es später auf, dass K. ihm damals vollständig gleichgültig war, dass er sich damals antrieb, dass er sich im geringsten Gefühl hätte untertauchen wollen, aber dass ihm nichts übrig blieb, als sie auf dem Schoß zu halten und sich nach einem Weilchen wieder von ihr zu befreien. Es war übrigens nicht nur aus Mitleid, dass er sie auf den Schoß genommen hatte, es war fast ein Versuch; noch ärger, er sah es voraus und tat es doch.

Sie haben doch meine letzten 2 Briefe bekommen? Ich will wissen, wo Sie Pfingsten sein werden; Sie fragten, wann der Empfangstag sein wird, das schien doch darauf hinzudeuten, dass Sie möglicherweise doch kommen könnten. Wenn es wäre!

Denken Sie, ich habe noch keine Wohnung. Ich spiele schon mit dem Gedanken (alle Wohnungen sind in der Stadt so teuer und F. soll doch anfangs in der Stadt wohnen), nur eine 2 Zimmer Wohnung zu mieten. Was denken Sie darüber?

Ich habe hier im Manuscript einen neuen Roman von Ernst Weiß, heiß und schön wie die "Galeere", noch schöner und ohne Mühe einheitlicher. Wollten Sie ihn lesen, und hätten Sie überhaupt in der nächsten Zeit Gelegenheit dazu? Wohl kaum. - Nochmals: Lesen Sie französisch?

Herzlichste Grüße Ihr FranzK.




Es war übrigens nicht ... und tat es doch: Vgl. die im Nachlaß Grillparzers aufgefundene Notiz, die Heinrich Laube in seiner Biographie Franz Grillparzers Lebensgeschichte, Stuttgart 1884, S. 65, zitiert: "Mittags bei Fröhlich. Es erwachte, wie jedesmal nach jeder Versöhnung, eine Art Verlangen in mir. Ich nahm sie auf den Schoß und liebkoste ihr, das erste Mal nach langer Zeit. Aber die Empfindung ist erloschen. Ich möchte sie gar zu gern wieder anfachen, aber es geht nicht."


Roman von Ernst Weiß: Der Kampf, Berlin 1916.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at