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An Grete Bloch

[3. Mai 1914]
 


Liebes, liebes Fräulein Grete, in aller unsinnigen Eile, die das Umhergeschlepptwerden eines Brautpaares, gar eines wohnungssuchenden mit sich bringt. Aber es ist mir unmöglich, ganz unmöglich, Sie heute nicht zu grüßen. Das Liebste und Schönste unter dem Lieben und Schönen, das Sie geschickt haben, ist Ihr Bild. Ich merkte, ich hatte Ihr Gesicht ganz vergessen; seit jener Zeit hat es sich in meiner Erinnerung ganz aufgelöst und was sich allmählich im Laufe der Zeit zu einem neuen Menschenbild zusammensetzte, war ein Mensch, an dem mir so viel lag, dass ich glaubte, an seinem Gesicht könne mir gar nichts liegen. Und nun vor dem Bild ist das natürlich gar nicht wahr. Ich wäre so froh, wenn ich ein Bildchen von Ihnen bekäme; bekäme ich nur eins, so würde ich das wählen, wo Sie mit den 2 Mädchen beisammen sitzen. Nicht etwa zum Dank dafür, das wäre komisch, sondern aus eigenem Antrieb lege ich die schiefgedrehte Fratze bei .

Heute nichts mehr; ich habe Ihnen viel zu erzählen, zu klagen, dass Sie nicht da sind, mich zu freuen, dass Sie nicht da sind. Da diese Mischung auch geblieben wäre, wenn Sie gekommen wären, bin ich doch eigentlich sehr traurig, dass Sie nicht gekommen sind, ich hätte mehr bitten sollen. Gestern nachmittag haben wir Sie angerufen, aber Ihr Bureau war schon zu.

Morgen oder übermorgen schreibe ich.

Ihr FranzK.




schiefgedrehte Fratze: Vermutlich wieder das Bild in Wagenbach, Monographie, S. 57.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at