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An Grete Bloch

26. IV. 14
 


Liebes Fräulein, gut, lassen wir die Entscheidung offen. Möge ich jeden Augenblick, während F.'s Hiersein, die Hoffnung haben, Sie zu erblicken. Jede solche Hoffnung ist bisher so sinnlos vergangen, möge es mit dieser nicht so sein. Wegen Gmünd hat mir F. noch nicht geschrieben. Sie dürfte am 1. oder 2. kommen, natürlich schreibe ich Ihnen noch das Datum.

Nun gehn Sie also ganz bestimmt nach Berlin. Waren es gute, waren es schlechte Nachrichten, auf die Ihr jetziger Entschluß zurückgeht? Wegen der gemeinsamen Fahrt lassen wir nun aber die Entscheidung nicht offen, sondern wir fahren ganz bestimmt zusammen, denke ich. Wie freue ich mich darauf, Ihnen im Coupé gegenüber zu sitzen, nicht zu erzählen, denn das kann ich nicht, aber immerhin dazusitzen, zu nicken, den Kopf zu schütteln, Ihre Hand zur Begrüßung ordentlich zu drücken und es mir im übrigen wohl sein zu lassen. Schöne Fahrt!

Zum Abschied darf Ihnen Wien gefallen. Vergessen Sie nicht an das Grillparzerzimmer! Übrigens glaube ich nicht, dass die Abschiedtraurigkeit darauf zurückgeht, dass man das, wovon man Abschied nimmt, lieb gehabt hat. Die Traurigkeit hat vielleicht ihren Grund eher im gegenteiligen Gefühl. Man fühlt, dass man zu leicht sich trennt, man fühlt, dass man zu leicht auch verabschiedet wird, die äußerlichen Verbindungen, die sich im Laufe der Zeit hergestellt haben und in der Ruhe des Nichtüberprüftwerdens fast innerliche Verbindungen darzustellen schienen, zeigen sich als die Geringfügigkeiten, die sie sind. Man erinnert sich traurig an die Scheinverbindungen, die sich ergeben haben und sieht traurig die Scheinverbindungen voraus, die sich ergeben werden. Man braucht ja beides, Freiheit und Gebundenheit, aber jedes an seinem Platz, und es wird einem sehr übel, wenn man merkt, dass man die Plätze verwechselt hat. So ist es mir oft gegangen; das tut nichts, seien Sie mit mir froh, dass Sie von Wien wegkommen. Was hat Ihr Bruder mit der citierten Bemerkung gemeint? Sonderbar ist sie. Und was sind das für sonstige Raben in Berlin, die Ihnen abraten? Wie wenig ich von Ihnen weiß! Und wie viel ich wissen möchte! Sogar der Besuch interessiert mich, den Sie hatten.

Die Ratschläge, die Sie mir anbieten, könnte ich wohl brauchen, aber schriftlich lassen sie sich kaum geben. Wie wollen Sie mir hinsichtlich einer Wohnung raten, die Sie nicht kennen? Und wie wollen Sie mir wegen der Verwendung meiner paar Kronen raten, da es doch ganz unmöglich ist, dass F. damit auskommt. Aber so sorgenvoll ich sonst bin, das macht mir nicht die allergeringste Sorge. Dafür fehlt mir die Phantasie. Vielleicht ist auch das sonstige Sorgengedränge zu groß, um noch etwas durchzulassen. Im übrigen bin ich freier von Kopfschmerzen, als ich es jemals gewesen bin. Und Sie? Sie waren noch vor kurzem so geplagt, ist es besser? Haben Sie schon vegetarisch gegessen? Und die Thürheim werden Sie nun wohl auch schon kaum lesen. Werden Sie noch nach Teplitz fahren?


Herzlichste Grüße Ihres Franz K.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at