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An Felice Bauer

20.IV.14
 


Meine Liebste, jetzt abend komme ich nachhause, habe mich nutzlos herumgetrieben, auf Tennisplätzen, auf den Gassen, im Bureau (ob dort vielleicht eine Nachricht von Dir wäre) und finde nun Deinen Brief. Ich werde unfähig, etwas zu tun, wenn ich nicht Nachricht von Dir habe, ich war wirklich unfähig, die kleine Anzeige in die Zeitung zu geben, trotzdem das schon möglich ist, da ich es heute dem Direktor gesagt habe. Aber ich konnte nicht, übrigens war es auch im Berliner Tageblatt nicht.

Ich weiß nicht einmal mehr, womit ich letzthin so beschäftigt gewesen bin, es wird nichts sehr Wichtiges gewesen sein. Über Unwichtigem ist es spät geworden, so wie heute auch. Was für ein provisorisches Leben ohne Dich!

Mit Max komme ich natürlich zusammen, sogar jeden Tag. Nur sind wir, wenn ich genau zusehe, einander nicht so nahe, wie wir es früher, zeitweise allerdings nur, gewesen sind. (Niemals waren wir einander so nahe wie auf Reisen, warte ich schicke Dir nächstens zwei gedruckte Kleinigkeiten von unsern Reisen, eine erträgliche von mir und eine ganz unerträgliche von uns beiden gemeinsam geschrieben. Ich verspreche nicht so ins Blaue wie Du den Brief für meine Mutter, die Reklammarken für den Chef, das Berliner Tageblatt und die Kündigung bei der Ärztin für mich. Ich verspreche auch ins Blaue, aber mein Blau ist nicht gar so grenzenlos.) Wir (der Sicherheit halber nochmals: Max und ich) sind durch meine Schuld einander nicht mehr so nahe, er fühlt es auch in seiner Schuldlosigkeit gar nicht so, hat mir auch z. B. seinen neuen Roman "Tycho Brahes Weg zu Gott", eines seiner persönlichsten Bücher, eine peinigend selbstquälerische Geschichte geradezu, gewidmet.

Aber auch meine Schuld ist nicht eigentlich Schuld oder nur zum kleinen Teil. Ich bin Max unklar und wo ich ihm klar bin, irrt er sich. Ich bin in der letzten Zeit trotz aller äußerlichen mich betreffenden Geschwätzigkeit (dieses Laster kennst Du noch nicht, Du hast es selbst auch nicht, dafür liebe ich Dich ja auch) immer verschlossener, immer menschenscheuer geworden, ich kann trotz dem innern Drängen der Geschwätzigkeit und selbst einer berechtigteren Lust zur Mitteilung nicht aus mir hinaus, es ist auch nicht eigentlich Scheu vor Menschen, sondern Unbehaglichkeit in ihrer Nähe, Unfähigkeit zur Herstellung vollständiger, lückenloser Beziehungen, ich verliere so selten den fremden Blick für andere (verstehst Du das?), ich getraue mich zu behaupten, dass selten jemand so fähig ist wie ich, schweigend in halber Nähe, ohne unmittelbar dazu gezwun - endgültige Unterbrechung, 2 Onkel kommen, einer aus Triesch in Mähren, der andere ein Prager, eine Merkwürdigkeit, ich muß aufhören, nur damit Du nicht Angst bekommst wegen des angefangenen Satzes, unnötige Angst, glaube mir, wir vertrauen einander doch, nicht?, also damit Du nicht Angst bekommst, schließe ich noch den Satz - gen zu sein, Menschen vollständig mit einer mich selbst erschreckenden Kraft zu fassen. Das kann ich, dieses Können ist aber, wenn ich nicht schreibe, allerdings fast eine Gefahr für mich. Nur gibt es, da ich Dich habe, keine Gefahr für mich, und auch für Dich, Liebste, soll es keine geben.

Franz

Keine Kopfschmerzen, unbedingt keine!
Kündigen der Ärztin! Bald kommen!
Ausstattung vorbereiten!




von uns beiden gemeinsam geschrieben: "Die Aeroplane in Brescia", veröffentlicht in der Bohemia vom 28. September 1909 und die gemeinsam mit Max Brod verfaßte Reisegeschichte "Richard und Samuel", erschienen in den Herder-Blättern, 1. Jg. Nr. 3 (Mai 1912), S. 15ff. Wiederabdruck in Franz Kafka, Erzählungen und kleine Prosa, Berlin 1935. S. 264ff.


Tycho Brahes Weg zu Gott: Max Brods Roman Tycho Brahes Weg zu Gott, zuerst in der Monatsschrift Die Weißen Blätter (Januar bis Juni 1915) in Fortsetzungen veröffentlicht, erschien 1916 im Verlag Kurt Wolff. Dem Roman ist die Widmung vorangestellt: "Meinem Freunde Franz Kafka".


2 Onkel: Kafkas Onkel Siegfried Löwy, Landarzt in Triesch (bei Iglau in Mähren) und Rudolf Löwy, Buchhalter in Prag.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at