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An Grete Bloch

18.IV.14


Liebes Fräulein Grete, nachdem ich Ihren ersten Brief gelesen hatte, wußte ich sofort, was ich Ihnen zunächst antworten könnte: dass Sie nämlich im Grunde F.'s Verhältnis zu Ihnen durchaus nicht so eindeutig auffassen, wie Sie es schreiben. Das Schreiben selbst verführt oft zu falschen Fixierungen. Es gibt eine Schwerkraft der Sätze, der man sich nicht entziehen kann. Ich will gar nicht den Satz herschreiben, in dem Sie F.'s angebliche Meinung über Sie zusammenfassen. Sie würden mir böse sein, wenn ich es täte. Der Satz ist bei weitem nicht schlimm, er ist gut, wie Ihr ganzes Wesen, er ist bei weitem nicht so schlimm, wie z. B. die gemeinen Schimpfworte, die ich einmal vor sehr kurzer Zeit im Halbschlaf gegen F. gebrauchte (F. weiß davon) - immerhin, Sie mußten ihn widerrufen, wenn nicht gleich, so am nächsten Tag, Sie hätten ihn auch widerrufen, wenn F.'s Brief nicht gekommen wäre. So aber haben Sie die Frage, die ich um ½9 früh stellte, mit dem Brief um ½11 schon beantwortet. Allerdings, würden Sie mich geradezu nach meiner Meinung über F.'s Verhältnis zu Ihnen fragen, ich wußte keine ganz brauchbare zu geben, aber das wäre nicht entscheidend, ich weiß auch andere Antworten nicht, viele andere Antworten nicht.

Was die Briefe anlangt, so ist es bloß Ihre vorläufige Meinung, dass ich sie verbrennen soll, bis ich verheiratet bin. Nun bin ich aber noch nicht verheiratet und erst die Meinung, die Sie dann darüber haben werden, wird doch entscheidend sein. Lassen Sie sie doch also vorläufig in meinem Besitze. Sie haben mir einmal die Freude gemacht, sie zu bekommen, lassen Sie mir noch die Freude, sie ein wenig zu behalten. Glauben Sie übrigens, dass wir, F. und ich, sehr einig sein könnten, wenn wir nicht einmal in einer menschlich uns so nahegehenden Sache, wie es der Inhalt Ihrer Briefe ist, einig sein könnten, also mit den gleichen Augen lesen könnten?

Auch die Bewunderung Ihrer Geschäftstüchtigkeit müssen Sie mir lassen. Ich an Ihrer Stelle würde eher den präcisen Apparat unpräcis machen, als selbst präcis werden. Und die Patenterteilung? Könnte ich das doch im Detail besser würdigen! Es scheint mir, als hätten Sie sich damals im Hotelzimmer Mühe gegeben, mir einiges zu erklären, aber ich habe nichts behalten.

Gewiß sollen Sie spätestens am 1.VII. in Berlin sein! Ganz gewiß. Ganz gewiß werden Sie sich auch geschäftlich besser fühlen: Die stärkende Wirkung von Berlin fühle ja selbst ich oder vielmehr ich weiß, ich würde sie zu fühlen bekommen, wenn ich nach Berlin übersiedelte. Das Risiko ist aber für mich doch groß, ich habe meine Fälligkeit des Schreibens gar nicht in der Hand. Sie kommt und geht wie ein Gespenst. Seit einem Jahr habe ich nichts geschrieben, kann auch nichts, so viel ich weiß. Dabei hatte ich einen Glücksfall in den letzten Tagen entsprechend Ihrer Patenterteilung: Eine Geschichte, übrigens meine größte, aber auch einzige, vor einem Jahr geschriebene Geschichte ist von der Neuen Rundschau angenommen, übrigens auch mit andern liebenswürdigsten Angeboten. Hätte ich in diesem Jahr etwas geschrieben, wäre es nicht so gewagt, nach Berlin zu gehn, so aber wäre es doch eine verzweifelte Handlungsweise, F. aus ihrem jetzigen angenehmen Zustand in ein so unsicheres Leben zu schleppen. Das müssen Sie wohl auch zugeben.

Herzlichste Grüße Ihres Franz K.
 


[Am Rande] Über unsere Zusammenkunft nächstens.



bis: Im Prager Sprachgebrauch für "Wenn" verwendet - " ... dass ich sie verbrennen soll, wenn ich verheiratet bin."
damals im Hotelzimmer: Erste Begegnung in Prag Anfang November 1913.
Eine Geschichte: Vermutlich "Die Verwandlung", die jedoch erst im Oktober 1915 in der Monatsschrift Die weißen Blätter erschien.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at