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An Grete Bloch

16.IV.14
 


Liebes Fräulein Grete, das war schon viel besser. Natürlich wußte ich ganz genau, was Sie schreiben würden, Sie haben es oft genug schon angedeutet, oft genug schon den Versuch gemacht, sich aus der Schlinge zu ziehn, die aber gar keine Schlinge ist, sondern nur -nun, jedenfalls werde ich diese Schlinge mit allen Zähnen festzuhalten versuchen, falls Sie sie lösen wollten. Aber es ist ja gar nicht daran zu denken. Und die Briefe? Natürlich können Sie über die vergangenen verfügen (nicht über die künftigen!), aber warum wollten Sie sie nicht in meinem Besitz lassen? Warum soll überhaupt die geringste Änderung geschehn? Was helfen überhaupt Regeln Menschen und gegenüber Menschen? Ich sage auch noch heute, dass ich keinen fremden Menschen haben will und sage gleichzeitig, dass ich über jeden Augenblick glücklich sein werde, den Sie bei uns (dieses "uns" ist heute allerdings noch nicht viel mehr als eine Fabel) verbringen werden. F. wird die Briefe nicht lesen, wenn Sie nicht wollen; es ist auch gar nicht nötig, F. weiß schon oder könnte es auch ohne die Briefe wissen, wer Sie sind. Und weiß sie es nicht, dann werden ihr auch die Briefe nicht dazu verhelfen.

Macht es Sie nicht stolz, dass man in Berlin solchen Wert darauf legt, Sie zu bekommen? Mir geht es eigentümlich mit der Vorstellung von Ihrer jedenfalls ganz außergewöhnlichen Geschäftstüchtigkeit. Ich habe diese Tugend so wenig, dass ich mir deren Detail gar nicht vorstellen kann. Ich höre aber davon, auch jetzt in Berlin, glaube es auch natürlich, kann es aber mit aller Anstrengung nicht vollständig mit dem Fräulein Grete, an das ich schreibe, zusammenbringen, nur annähern kann ich es gerade noch.

Warum sollen Sie erst vom 1.VIII nach Berlin kommen? Warum Henkersfristen? Wer hat denn um Himmels willen in Berlin andere Gelüste auf Ihren Kopf, als ihm zu streicheln? Kommen Sie doch früher! z.B. zu dem leider großen Tag, den man bei Ihnen Empfangstag nennt und der zu Pfingsten sein dürfte[1].

Frau B.[auer]? Nun, sie ist mir ein wenig unheimlich und ich ihr sehr. Ihr leuchte ich wohl am wenigsten ein, den andern, sei es auch mit Hilfe von Mißverständnissen, mehr oder weniger. Toni gefällt mir sehr, auch Erna, die ich allerdings nur paar Minuten Samstag abend gesehen habe, Sonntag und Montag war sie in Hannover. Den irgendwie verdächtigen Blick der Frau hatte ich immerfort auf mir, wäre ich an ihrer Stelle gewesen, hätte ich allerdings noch viel verdächtigendere Blicke gemacht, ich mache sie sogar an meiner Stelle. Nun, manchmal kam ich ihr krank vor, manchmal sinnlos, meistens dumm und selten auch überschlau; aus solcher Urteilsmischung ergibt sich kein sehr gutes Verhältnis, und sei es selbst gegenüber dem künftigen Schwiegersohn. Überhaupt wird man nicht viel Liebes an mir haben beobachten können, ich war übermüdet, zerfahren, unaufmerksam, dann wieder gleichzeitig zerstreut und überwach (einer meiner häßlichsten und häufigsten Zustände), trumpfte ganz unnötiger Weise mit meinem Vegetarianismus auf, aß nur Gemüse, war möglichst langweilig und es hätte schon eines göttermäßigen Blickes bedurft, um in mir die Ruhe und Notwendigkeit meines Handelns und Daseins zu erkennen.


Herzlichste Grüße Ihres Franz K.




großen Tag: Die offizielle Verlobungsfeier mit Verwandten und Freunden.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at