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An Grete Bloch

5.IV.14
 


Liebes Fräulein Grete - in Eile und Halbdunkel - F. und ich haben uns gestern telephonisch geeinigt, dass ich (da ich heute schon um ½5 aus Berlin hätte wegfahren müssen und viel und Widerliches, wenigstens für meine vollständig geschwundene Bureaukraft, viel im Bureau zu tun habe) erst Ostern nach Berlin komme. Das telephonische Einvernehmen war recht gut, soweit mir schien und soweit ich über diese für mich neue Erfindung urteilen kann, mit der ich fast nichts anzufangen weiß. F. hat mich diese Woche schon 3 oder 4 mal angerufen, das Telephon ist im 2ten Stock, ich im 4ten, ich werde nun telephonisch hinuntergerufen, werde, da ich nicht bei meinem Tisch bin, sondern aus Notwendigkeit oder, bloß um mich vor der Arbeit zu verstecken, bei einem meiner 30 Referenten stehe oder bei einer meiner zwei Schreibmaschinen sitze, erst ein Weilchen gesucht, laufe dann ins 2te Stockwerk hinunter, setze mich außer Atem zum Apparat, der ohne Zelle offen im Präsidialzimmer ist, wo es immer herumlungernde, aufpassende, viel zu gut gelaunte oder viel zu gesprächige Menschen gibt, die man, wenn sie hinter einem stehn, zwar durch einen Fußtritt zur Ruhe bringen kann, gegen die man aber auf einige Entfernung hin machtlos ist, gebunden an den Apparat; und wie ich schon beim gewöhnlichen Telephonieren mangels jeglicher Schlagfertigkeit nichts sagen und vor lauter Nachdenken über diese Unfähigkeit auch kaum etwas verstehen kann, (es ist bei mündlicher Unterhaltung nicht viel anders), so verstehe ich beim interurbanen Gespräch fast nichts und habe jedenfalls gar nichts zu sagen, kann also auch darüber gar nicht ur teilen. Vor einer Woche etwa wurde ich einmal auch von F. angerufen, redete, wie mir schien, mit der ängstlichsten Stimme, deren ich mich vor dem ganzen Präsidialzimmer schämte, aber F. schrieb mir, meine Stimme hätte sich "furchtbar böse" angehört, vielleicht deshalb, weil ein in dem Augenblick übersprühend lustiger Direktor hinter mir stand und mich schonend darauf aufmerksam machte, ich solle statt der Augen lieber den Mund ans Telephon legen (womit er ja zweifellos recht hatte).

Gott weiß, warum mir die Klage über dieses kleine Leid so angewachsen ist. Liebes Fräulein Grete, ich fahre also nach Berlin und Sie nicht und so werden wir uns wieder nicht sehn, das ist viel schlimmer. Ich dachte noch gestern bestimmt daran (sogar im Augenblick des Telephonierens dachte ich statt zu telephonieren daran), dass Sie nach Berlin fahren würden, da Sie nun so lange nicht zuhause waren. Ergibt sich keine geschäftliche Notwendigkeit dazu? Übrigens zerbreche ich mir den Kopf, was die von Ihnen schon öfters erwähnten "privatgeschäftlichen Angelegenheiten" sein können. Und auch drei wichtige Briefe an einem Tag sind wirklich zu viel (ist darunter einer von dem versäumten Besuch?), Sie hätten es nötig, sich loszureißen. Genügt dafür eine Fahrt in den Wiener Wald?

Vollständig recht haben Sie darin, was Sie über mich und F. sagen. Ich verstehe gar nicht, wie ich mich in letzter Zeit auf der Gemeinheit versteifen konnte, von Ihnen, die mit F. nicht in Verbindung ist, eine Art Urteil zu verlangen, da ich, abgesehen von der äußerlichen Unmöglichkeit alles zu erzählen, ob ich will oder nicht, auch fälsche und verschweige. Natürlich erfährt F., da Sie es nicht wollen, kein Wort über Sie, von der ich übrigens, soweit es einzelne Vorkommnisse betrifft, nur ganz Allgemeines weiß.


Herzlichste Grüße Ihres Franz K.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at