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An Felice Bauer

3.IV.14
 


Du verstehst mein Telegramm nicht, F. ? Ich nehme an, dass es nicht verklopft worden ist; es sollte lauten: "Letzten Brief konnte ich nicht beantworten. Mußte mir sagen, dass Du mich ohne ein anderes Gefühl nur demütigen willst. Was konnte der letzte Brief sonst bedeuten, was bedeuteten die sonst grundlosen niemals erklärten Pausen zwischen Deinen Briefen."

(Dein gestriges Telegramm bekam ich, trotzdem es mittag aufgegeben zu sein scheint, sonderbarerweise sehr spät. Um 8 Uhr abends war ich noch zuhause, das Telegramm war noch nicht da. Dann ging ich weg und kam erst um ½1, da fand ich das Telegramm.)

Du verstehst also das Telegramm nicht? Erinnere Dich, F., an unser letztes Beisammensein tiefere Demütigung kann wohl ein Mensch vom andern nicht erfahren als ich damals von Dir, tiefere Demütigung kann man allerdings auch nicht herausfordern, als ich es damals getan habe. Das Demütigende lag nicht etwa in Deiner Abweisung; die war Dein selbstverständliches Recht. Das Demütigende lag darin, dass Du mir überhaupt nicht antwortetest, die wenigen Antworten ganz unbestimmt ließest, mir einfach einen dumpfen Haß und Widerwillen zeigtest, der so schrecklich überzeugend war, dass in mir selbst die Erinnerungen an unsere guten Zeiten davon berührt wurden und ich an manches mich erinnerte, das leicht im Sinne Deines gegenwärtigen Verhältnisses zu mir gedeutet werden konnte. Du sagtest wenig, aber vieles von dem wenigen habe ich nach Wort und Ton genau im Kopf. Du sprachst von der Möglichkeit (der Möglichkeit!) Deiner Liebe zu irgendjemandem früheren, von dem Du nicht reden wolltest, dass Du nichts Halbes tun könntest und das Mich-nicht-Heiraten (ich wendete ein, dies sei doch auch etwas Halbes, da Du doch behauptetest, vollständig fremd sei ich Dir nicht) die größere Hälfte sei, dass Du meine Eigenheiten nicht ertragen könntest, dass ich endlich um Himmelswillen aufhören möge, immerfort um das Unmögliche zu bitten, dass ganz nach meinem Belieben der Briefwechsel aufhören könne, dass Du aber darauf eingehen würdest, ihn fortzusetzen (dabei wußte ich genau so wie Du, dass Du mir nicht antworten würdest, wie es auch geschehen ist), und solcher Dinge gab es eine Menge. Habe ich etwas davon vergessen, so kann ich auf das Vergessene aus meinen Antworten schließen. Allerdings beweisen diese Antworten auch, welcher Gemeinheiten ich fähig bin. Ich verleugnete mich, ich fragte, ob Dich mein Vegetarismus störe, ob Du mich nicht ohne Liebe heiraten könntest, schließlich schämte ich mich nicht, die Fabrik anzuführen.

Es wäre kein Grund, alles das zu wiederholen, besonders da Du damals in einer außergewöhnlichen, mir allerdings noch nicht anvertrauten, Lage warst. Aber Du sagst, dass Du das Telegramm nicht verstehst. - Mein erster Brief (seit Berlin) widerrief das meiste dessen, was ich gesagt hatte, soweit man überhaupt die eigenen Worte widerrufen kann und darf. Meine Demütigungen hörten nicht auf hattest Du im Tiergarten mündlich geschwiegen, so schwiegst Du jetzt schriftlich, Du antwortetest nicht einmal meiner Mutter gleich. Aber es kam eine Erklärung, Du hattest so viel Leid gehabt. Das war aber dann im Schlimmsten vorüber, trotzdem schwiegst Du wochenlang, ließest 5 Briefe unbeantwortet. War das nicht Verachtung? Du erklärtest auch nicht mit einem Wort dieses Schweigen, trotzdem Du wußtest, wie ich darunter litt. War das nicht noch schlimmer als der Tiergarten? Einmal schriebst Du: "Wenn Dir meine Liebe genügt, dann gut." Etwas derartiges hattest Du nicht einmal im Tiergarten mir gesagt. Einmal schriebst Du: "Was ich in Berlin gesagt habe ist alles wahr gewesen, wahr an sich, wenn es auch vielleicht nicht alles war." Aber dieses "alles" habe ich nie erfahren.

Auch das zu erwähnen, wäre kein Grund, Felice, denn es kam dann ein Brief, der alles gutzumachen schien, der vorletzte. Alles schien gut, der endgültige Anfang besserer Zeiten schien gekommen. Ich schrieb glücklich zurück, bat dringend wie vielleicht niemals, mich nicht auf Antwort warten zu lassen, schrieb, wie ich mit Herzschmerzen nur die ergebnislosen Poststunden überstehe, bat für den nächsten Tag, wenn es nicht anders ginge, nur um paar Zeilen-und wartete vier Tage. Und was kam dann? Dann kam Dein letzter Brief, paar Zeilen im Restaurant nach dem Essen geschrieben, das Ausbleiben der Antwort nicht erklärt, die Reise nach Dresden (ohne Erklärung Deiner frühern öftern Bereitwilligkeit zu einer solchen Reise) einfach abgelehnt, Flüstern Deiner Schwester, Du möchtest Dich kürzer (noch kürzer! noch kürzer!) fassen. Das war alles. Konnte ich an eine Antwort oder gar an Weiteres denken, wenn Du für mich im Laufe von 4 Tagen nur einen Augenblick nach dem Essen frei bekommen hast, mit keinem Wort auf den Inhalt meiner Briefe antwortetest und die ganze Angelegenheit sich nur so widerwillig und nebensächlich in Dein sonstiges Leben einzwängen ließ. War damit nicht alles vom ersten Schritt im Tiergarten an wieder lebendig? Konnte ich darauf antworten? Verstehst Du es jetzt, dass ich es nicht konnte?

Wenn Du, F., nach dieser Erklärung, die nicht nur über mich, sondern auch über Dich Erklärung sein soll, glaubst, dass ich kommen soll, komme ich natürlich sofort. Ich käme morgen, Samstag, um ½11 abends und müßte um 4½ nachmittag zurück, da ich Montag wie jetzt überhaupt schwere widerliche Arbeit habe. Wenn Du willst, dass ich komme und mich von der Bahn abholen willst (ich würde Dich lediglich nachhause begleiten, Du könntest um ½12 schon zuhause sein), dann telegraphiere mir sofort, damit ich das Telegramm bis 12, Uhr mittag habe, und ich laufe gleich zur Bahn.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at