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An Felice Bauer

21.III.14
 


dass äußerliche Zufälle sich noch einmischen, um unsere Lage überflüssig zu verwirren, dass mein Telegramm an einem Nachmittag kommt, an dem Du nicht im Bureau bist, dass Dein Telegramm falsch adressiert ist, dass schließlich, wie ich jetzt sehe, mein Brief an Deine Eltern um einen Tag sich verspätet hat (er war Donnerstag schon aufgegeben, Du siehst es aus dem beiliegenden Schein) - das alles ist schlimm, aber mit uns steht es jetzt so, dass auch der schlimmste Zufall nichts mehr verschlimmern kann.

Als ich heute Dein Aviso zum telephonischen Gespräch bekam, konnte ich nicht gut aus dem Bureau weg, brannte auch nur darauf, möglichst rasch zu erfahren, was Du wolltest, dachte übrigens in irgendeiner unsinnigen Hoffnung daran, dass Du Deinem Expressbrief telephonisch in irgendetwas seine Schärfe nehmen wolltest und ließ mich deshalb von der Anstalt aus verbinden. Das war schlecht, wir haben keine Zelle, im Praesidialzimmer, wo das Telephon ist, steht immer eine Menge Leute herum, zufällig stand ein Direktor, ein widerlicher Mensch, hinter mir, machte Späße, ich hätte ihm fast mit dem Fuß einen Stoß gegeben, ich verstand deshalb schlecht, vor allem aber verstand ich eine Zeitlang überhaupt den Sinn Deiner Worte nicht. Ich hatte ja annehmen müssen, dass der Brief an Deine Eltern schon gestern angekommen war, dass Du von ihm wußtest, ehe Du mir telegraphiert hattest und natürlich auch ehe Du mir geschrieben hattest. Ich mußte also beim Telephon, abgesehen davon, dass ich wenig verstand, auch überlegen, was Du eigentlich wolltest, warum Du mich zum Telephon gerufen hattest. Dazu kam durch das Hören Deiner Stimme - darum doch fürchte ich mich zu telephonieren - wieder diese Sucht, Dich zu sehn, über mich; hinzufahren war das einfachste Mittel, alles aufzuklären und über alles aufgeklärt zu werden; also sagte ich, ich fahre nach Berlin. Ich überhörte mit Gewalt alles, was dagegen sprach, überhörte das Zögernde Deiner Antwort, überhörte das Widerwillige und ganz Unbestimmte in Deiner Zusage, auf die Bahn zu kommen, vergaß gänzlich, was auf Deinen heutigen Brief zu antworten war-und sagte, ich komme. Ich lief aus dem Bureau, lief ein wenig kreuz und quer im Regen, überlegte, alles schien mir so hoffnungslos, die Hinfahrt hätte ich gern auf mich genommen, aber vor der Rückfahrt hatte ich so entsetzliche Angst, ich war nicht mehr sicher, ob ich fahren würde. Zuhause fand ich dann das Telegramm Deines Vaters: "felice wohl, ihren brief soeben erhalten felice wie mir sagt gestern geschrieben", und jetzt war ich bald ganz entschlossen, nicht zu fahren. Ich sah, dass Deine Eltern meinen Brief erst heute bekommen hatten, verstand, warum Du mir telephoniert hattest, verstand, dass alles, was Du gesagt hattest, auch das Nichtgehörte, eine Art Vorwurf deshalb war, dass ich an Deine Eltern geschrieben hatte, erinnerte mich an Deine böse Wendung im Tiergarten, als ich gegenüber Deinem Unaufhörlichen halben Schweigen gesagt hatte, ich würde zu Deinem Vater gehn, um Klarheit zu bekommen - und bin also nicht gefahren. Ich habe Dir ins Bureau telegraphiert, Deinem Vater habe ich telegraphisch gedankt.

Bei allem, Felice, was ich im folgenden sage, bin ich mir gut bewußt, dass Dich in der Familie ein großes, mir allerdings nicht ganz klares Unglück getroffen hat, ich sehe, dass es Dich ganz irrsinnig hin- und herreißt und ich sehe auch, dass Du es genau so trägst, wie das Mädchen es tragen mußte, das ich in Dir liebe. Bei allem, was ich sage, bin ich mir dessen bewußt.

Als ich heute Deinen Expressbrief gelesen hatte, einmal und zehnmal und öfter, schien es mir, wie wenn Du meine letzten Briefe gar nicht gelesen hattest. Die letzten vier oder fünf Briefe seit Samstag magst Du ja wirklich nicht gelesen haben, wie wäre es sonst möglich, dass Du mir kein Wort geantwortet hättest, wie wäre es auch möglich, dass Du mir Vorwürfe darüber machen wolltest, dass ich, ohne Antwort auf so viel Briefe und auf ein Telegramm, in unaufhörlicher, mit Dir sich beschäftigender Sorge endlich an Deine Eltern (die Adresse Deiner Schwester hattest Du mir nicht gegeben) geschrieben habe, um zu erfahren, wie es Dir geht. (Übrigens habe ich Dir ja in der vorletzten Schweigepause auch geschrieben, dass ich Deinen Vater fragen werde, und dieses Schweigen jetzt war ja viel unbegründeter als jedes frühere, ja es war gänzlich unverständlich, und Du machst auch keinen Versuch, es zu erklären. Ich kann auch nicht verstehn, warum Du gerade auf mein Telegramm antworten wolltest und schließlich auch geantwortet hast, während Du 4 oder 5 Briefe, aus denen ja mein Zustand viel deutlicher ersichtlich war, einfach weggelegt hast.) Aber diese Briefe meine ich jetzt nicht, auch den Brief, den ich gleich nach meiner Rückkehr von Berlin geschrieben hatte und mit dem ich den Brief meiner Mutter ankündigte, auch den kannst Du nicht gelesen haben. Felice, sieh doch, ich ließ doch meine Mutter nicht schreiben, damit sie für mich meine Frau erobere (wenn in der Hölle meines Kopfes irgendwo in einem Winkel eine Ahnung einer solchen Hoffnung war, so bin ich dafür nicht verantwortlich), ich ließ meine Mutter schreiben, damit sie sich unmittelbar von Dir die Bestätigung dessen hole, was Du mir im Tiergarten gesagt hattest. Warum ich das meiner Mutter erlaubte, werde ich vielleicht noch in diesem Briefe sagen.

Du schreibst heute: "Wir wollen ein[en] Strich durch die Reden im Tiergarten machen", das wäre schön, ich wußte nichts Schöneres; aber auf der nächsten Seite sagst Du: "Du hast nur gesagt, die Liebe, die ich für Dich habe, genügt Dir", nichts kann aber doch den Strich schrecklicher durchstreichen, als dieses. Felice, merkst Du denn nicht, dass ich auf dem Grund meiner Hoffnungslosigkeit etwas derartiges sagen kann, niemals aber von Dir endgültig hinnehmen kann. Deine Worte bedeuten doch, einfacher ausgedrückt, nichts anderes, als dass Du Dich opfern willst, weil Du einsiehst, "ich muß Dich haben." Werde ich Menschenopfer annehmen und das Opfer des liebsten Menschen überdies? Du müßtest mich doch hassen, wenn ich es täte, aber nicht nur das: wenn es genau so wahr ist, wie es in Deinem Briefe steht, dann haßt Du mich schon jetzt. Du mußt doch den hassen, den Du nicht genügend liebst, um freiwillig mit ihm leben zu können, der Dich aber durch irgendwelche Mittel (und bestünden diese Mittel auch aus nichts anderem als aus seiner Liebe zu Dir) zwingt zu diesem Zusammenleben. Dein vorletzter Brief war freundlich, ich sah, Du warst so tief im Unglück; was Du im Tiergarten gesagt hattest, schien in diesem Unglück gesprochen; zu dem gesprochenen Wort hattest Du keine andere Überlegung als Dein Leid; im Brief gabst Du mir zwar unbestimmte, aber desto schöner auszudenkende Hoffnungen. In diesem Brief sind bestimmte Hoffnungen, aber vorher der Schlag auf den Kopf.

Zwei Unklarheiten kann man ja auch noch in Deinem letzten Brief finden, sie sind die letzte kleinste Möglichkeit für die fast unsterbliche Hoffnung. Du bist noch immer so unglücklich, noch immer so unfähig zu überlegen und außerdem gestehst Du ein (dafür bedarf es allerdings keines Eingeständnisses), dass Du im Tiergarten nicht alles" gesagt hast. Wäre nur der übrige Brief nicht so klar, ich könnte mich an diese zwei Unklarheiten halten! Wie sehr wollte ich das! Sag mir doch, Felice: Warum zwingst Du Dich, warum willst Du Dich zwingen? Was hat sich seit dem Spaziergang im Tiergarten verändert? Nichts, Du sagst es ja. Was hat sich aber bei Dir seit unsern guten Tagen verändert? Alles, Du sagst es auch. Warum also willst Du Dich opfern, warum? Frage nicht immer, ob ich Dich will! Diese Fragen zu lesen, macht mich zum Sterben traurig. Solche Fragen stehn in Deinem Brief, aber kein Wort, kein Wörtchen von Dir, kein Wort darüber, was Du für Dich erwartest, kein Wort darüber, was die Heirat für Dich bedeuten würde. Alles stimmt zusammen, für Dich ist es ein Opfer, darüber ist dann nichts mehr zu sagen.

Ich wäre ganz gewiß nicht imstande gewesen, das, was ich jetzt geschrieben habe, Dir ins Gesicht zu sagen, eher wäre ich imstande gewesen, mich vor Dich hinzuwerfen und Dich für immer zu halten. Deshalb ist es gut, dass ich nicht gefahren bin.

Du fragst nach meinen Plänen, ich weiß nicht genau, was Du damit meinst, aber ich glaube, ich kann Dir sie jetzt offen sagen. Als ich von Riva zurückkam, war ich aus verschiedenen Gründen entschlossen zu kündigen. Ich sah es schon seit einem Jahre und seit länger ein, dass mein Posten nur dann einen Sinn, nur dann einen guten Sinn für mich hätte, wenn ich Dich heirate (jemand anderer kommt, seitdem ich Dich kenne, für mich nicht in Betracht, wird auch nicht in Betracht kommen). Dann bekäme mein Posten einen guten Sinn, würde fast liebenswert werden. (Ähnliches brachte ich auch dem Dr. Weiß bei und er besteht jetzt, wie Du im Kaffeehaus gehört hast, geradezu unbedingt darauf.) Heirate ich Dich nicht, dann ist mein Posten, so leicht er mir sonst (von Ausnahmszeiten abgesehen) fällt, eine Widerlichkeit, denn ich verdiene mehr, als ich brauche, und das ist sinnlos. Es kommt noch einiges dazu, wovon ich doch lieber nicht reden will. Das alles aber sagte ich meiner Mutter zum erstenmal, als ich von Berlin zurückkam. Sie verstand das alles ziemlich gut, bat mich aber, zuerst Dir schreiben zu dürfen, vielleicht verstand sie es nur deshalb so gut, weil sie mir das, was ich von Dir gesagt hatte, nicht glaubte und auf ihren Brief an Dich große Hoffnungen setzte. Jetzt weißt Du also auch, warum ich meine Mutter habe schreiben lassen.

Nun, Felice? Mir ist fast so, als stünde ich auf dem Perron des Anhalter Bahnhofes, Du wärest ausnahmsweise gekommen, ich hätte Dein Gesicht vor mir und sollte mich für immer von Dir verabschieden. - Für Montag erwarte ich noch einen Expressbrief, ein Wunder; was weiß ich denn, was ich erwarte. Von Dienstag ab erwarte ich nichts mehr.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at