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An Grete Bloch

9.III.14
 


Liebes Fräulein Grete, so genau durchschaue ich Ihren Zustand nicht, um zu verstehn, warum Sie mit Bezug auf Ihre Arbeit einen solchen Satz niederschreiben: "mir ist zum Sterben übel." Gerade diese Arbeit, die Ihnen doch gegenüber den zwei wichtigsten Seiten, gegen die Sie sich zu wehren

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Herzlichste Grüße Felix

mein kleiner Neffe war gerade hier, ich habe ihn auch Grüße für Sie aufschreiben lassen, vielleicht hat eine solche Unschuld mehr Macht in Gruß und Wunsch, als mein zittriger Kopf

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haben, gegen Berlin und München vollständige Selbständigkeit gibt; die müßte Ihnen doch wert sein, wie sie auch sonst sein mag. Außerdem aber ist sie doch auch aussichtsreich; Sie selbst sagten, dass Sie daran denken, später nach England oder Amerika zu gehe und auf Ihrem Geschäftspapier steht eine Reihe der begehrenswertesten Filialen, unter denen nur eine nicht begehrenswert ist, leider gerade die, in der Sie jetzt sind und zwar allem Anschein nach nicht nur der Stadt sondern auch den Chefs nach. Diese Selbständigkeit und diese Freiheit und das Wohlgefühl ihres Besitzes scheinen mir durch die Eintönigkeit der Arbeit (die übrigens in Berlin nicht so drückend gewesen sein dürfte) nicht zu teuer erkauft. Mein letzter Rat in dieser Sache bleibt immer: weg von Wien. Wenn es schon nicht möglich ist, in Prag wenigstens eine Zweigfiliale, wenn schon keine Filiale, zu errichten und Ihnen die Leitung zu geben (es scheint mir geschäftlich unsinnig, ein solches Geschäftsgebiet wie das böhmische nicht ganz auszunutzen), wäre es dann nicht besser, gleich z.B. nach Frankfurt zu gehn? Ich glaube auch kaum, dass Sie in Wien etwas für Ihre spätere Arbeit zulernen können, trotzdem oder gerade weil das Geschäft vielleicht in Wien schwerer als anderswo ist. Trotzdem aber scheinen Sie sich In Wien für längere Zeit einrichten zu wollen.

Nebenbei: Die Aussicht von Ihrem Schreibtisch geht auf das Postsparkassagebäude oder ist es die Aussicht aus dem Zimmer Ihrer Chefs? Wenn ich nicht irre, ist es von Otto Wagner gebaut und wurde früher sehr gelobt. Ich für meinen Teil aber kann mir sehr gut vorstellen, was für ein trostloses Gegenüber so ein aufdringlich absichtsvolles Gebäude sein muß. Es scheint kein anderes Ende für Absätze zu geben als: weg von Wien.

Dagegen, dass wir uns Ostern sehn sollen, hätte ich nichts einzuwenden, als dass es noch 4 Wochen bis dahin dauern wird. Wenn ich aber von der Zukunft reden will, muß ich ganz offen sein. Es ist auch gut so, ich will vor Ihnen auch kein vorläufiges Geheimnis haben, nur dürfen Sie dann nicht von Befürchtungen für unsere Freundschaft reden, die nicht die geringste weitergehende Begründung haben, als alle Befürchtungen für alles, was menschlich ist. Nein, liebes Fräulein Grete, davon reden wir nicht mehr. Mit mir aber steht es so: Ich habe letzten Montag F. einen Brief geschrieben, - es ist dumm, aber es will nicht auf das Papier. Sonntag wäre ich glücklich gewesen, Ihnen alles mündlich erzählen zu können, jetzt bitte ich Sie, lassen Sie mir noch 2, 3 Tage Zeit, dann ist sowieso alles klar, es handelt sich dabei gar nicht so sehr um F. sondern um mich und jenen Entschluß, von dem ich Ihnen schon geschrieben habe. Jedenfalls, wenn ich in Prag bin zu Ostern, müssen wir einander sehn, entweder in Wien oder in Prag oder, was vielleicht am besten wäre, irgendwo in der Mitte, im Böhmerwald oder sonstwo. Seien Sie mir bitte nicht böse, gar nicht böse, dass ich oben den Satz nicht zu Ende geschrieben habe, ich selbst bin deshalb traurig genug, denn es zeigt mir, wieviel ich noch in mir werde überwinden müssen, um den Entschluß auszuführen. Gut ist nur, dass es sich sehr bald entscheiden muß.

Herzlichste Grüße Ihres Franz K.


Die unterschiedliche Textfarbe wurde auf Grund der Ausgabe "Geteilte Post: 28 Briefe an Grete Bloch. Marbach am Neckar, 2011" gewählt. Laut dem Herausgeber Hans-Gerd Koch: "Aus zwölf dieser Briefe trennt sie jene Teile heraus, die persönliche Dinge betreffen oder falsche Rückschlüsse auf ihre Beziehung zu Kafka zulassen, und behält sie zurück. (Beim Abdruck im vorliegenden Band wurden diese fehlenden Teile in grauer Schrift ergänzt.)" Um die Lesbarkeit zu erleichtern, wurde für diese Webseite anstelle von grau eine blaue Schriftfarbe verwendet.

Letzte Änderung: 17.2.2016werner.haas@univie.ac.at