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An Grete Block

4.III.14
 


Liebes Fräulein Grete, ich weiß nicht, ob ich lange werde schreiben können, es ist möglich, dass man mich plötzlich abholt, trotzdem schreibe ich gleich, ich will Sie, selbst wenn der Brief nichts Wichtiges enthalten kann, nicht unnütz warten lassen, auch das leiseste, kürzeste Staunen darüber, dass keine Antwort kommt, will ich nicht verschulden, selbst dazu sind Sie mir-nun sagen wir etwa-zu wichtig. Aber bestimmen Sie doch (ja, jetzt bin ich antelephoniert worden, ich werde bald aufhören müssen) selbst nach Ihrem Belieben die Fristen, in denen wir ganz regelmäßig einander von jetzt ab schreiben können, unabhängig von verzögernden Launen und Zufällen und natürlich auch vorbehaltlich wichtiger Nachrichten vor dem regelmäßigen Termin. Ich für meinen Teil bin glücklich darüber, Sie zu kennen, aber ich denke auch für Sie wird dieser Verkehr nicht schlecht sein, besonders da diese ewig belastende Traurigkeit, mit der ich mich vor Ihnen bisher immer breit gemacht habe, vielleicht doch ein Ende nehmen wird. Wie lange ich nur z. B. in diesem Zustand gebraucht habe, Sie zu erkennen! Wie ich nur als regelrechter trockener Schleicher im Hotel neben Ihnen sitzen und halb an dem vorüberhören konnte, was Sie sagten!'

Ich sehe aus Ihrem Briefe nicht ganz unzweifelhaft, ob Sie meine beiden Briefe seit dem Besuch bei F. haben oder nur den zweiten, und ich weiß daher nicht genau, welche Einzelheiten über F. Sie wissen und welche Sie wissen wollen. F. sieht sehr wechselnd aus, an der Luft meist sehr frisch, im Zimmer manchmal müde, gealtert mit fleckiger, rauher Haut. Ihre Zähne sind noch in schlechterem Zustand, alle, durchwegs alle plombiert. Diesen Montag begann für sie wieder eine Reihe von Besuchen beim Zahnarzt, der ihr neue Goldkronen machen wird. Ich kann das alles und noch anderes feststellen, sehn, genau beobachten, es rührt auch von der Feme nicht an mein Gefühl für F.

Ihre Einwände gegen eine Heirat mit mir waren ernsthaft so ausgesprochen, wie ich sie letzthin angeführt habe, bis etwa auf die Bemerkungen über Eisenbahnen, Theaterbesuche u.s.w., die außerhalb der eigentlichen Reihe nebenbei fielen, aber doch ausdrücklich gegen mich gerichtet waren. Nein, ich halte es nicht für oberflächliche Anschauungen, das kann ich nicht sagen; warum sollten sie nicht tief begründet sein? Liebe ich das Ganze, liebe ich auch die Konsequenzen; dass man manchmal dabei die Zähne fletschen möchte, unterbricht nichts. Aber darin, liebes Fräulein Grete, müßten Sie doch F. kennen?

Ich sehe auf die Uhr, es ist höchste Zeit, ich beantworte morgen den übrigen Teil Ihres Briefes.

Leben Sie wohl und bleiben Sie bitte die gute Freundin

Ihres (ja wie denn?) Franz K.


der zum Dank für die Sonne nur die Eiseskälte seines Zimmers hat, die er lieber für sich behält.




im Hotel neben Ihnen: Erste Zusammenkunft in Prag Anfang November 1913.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at