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An Grete Bloch

28. 1 14
 


Liebes Fräulein! Es ist nicht anders zu erklären, als dass ich bei allem was F. betrifft oder mit ihr in Beziehung steht, mit einer Blindheit geschlagen bin, die um so ärger ist, als ich darin gerade besonders klar zu sehen glaube. Wie benehme ich mich nur Ihnen gegenüber, beklage es immer wieder und fange immer wieder von neuem an. Ich kann mir aber nicht helfen, ich habe allen Widerwillen, den mein Benehmen nur erregen kann, bis zum Äußersten schon in mir und koste ihn durch, nur werde ich aber in dieser Sache, unvergleichlich ärger als irgendwann sonst, ohne meinen Willen, wie von fremder Hand, bis zum Schwindligwerden hin- und hergedreht.

Sie wissen es aber auch, denn Sie sagen in Ihrem Brief, was mich vor allem gewundert hat, kein Wort des Vorwurfs, ja nicht einmal des Staunens darüber, dass ich F. wiederum die Heirat gebeten habe. Ich habe es getan, weil es nicht anders ging, viele andere Erklärungen habe ich dafür nicht.

F.'s Brief an Sie (für den ich Ihnen vielmals danke, lassen Sie mir ihn nur noch ein wenig, natürlich erfährt F. nichts davon) ist gut und wahr und in den Tatsachen, soweit es mich betrifft, fast richtig. Wahr ist es, dass der "Brei" "heiß" war, und wahr ist auch das vom "armen Kerl". Aber dass F. Ihnen seitdem nicht geschrieben hat, ist schlimm und geradezu ungeheuerlich. Die Daten meines Briefwechsels mit F. wußte ich, wenigstens genau, nicht mehr, wenn sie nicht zufällig in dem seinerzeit an Sie geschriebenen und nicht abgeschickten Brief stünden und dieser Brief sich nicht jetzt gerade gefunden hätte. Zum erstenmal seit meinem Berliner Besuch schrieb ich F., merkwürdiger Weise an dem gleichen Abend wie F. Ihnen, am 27. XI. Antwort bekam ich keine. Wie ich später erfuhr, hatte Frau Brod F. etwa um dieselbe Zeit schriftlich zu Weihnachten eingeladen. Antwort bekam auch sie nicht. Ich schrieb dann etwa 14 Tage später wieder einen Brief, wieder keine Antwort. Was ich dann machte, weiß ich der Reihenfolge nach nicht mehr genau, ich dürfte wohl noch 2 Briefe geschrieben und 2 Telegramme geschickt haben. Nachdem ich auch daraufhin nicht eine Zeile bekommen hatte, führte ich folgenden, ein wenig traumhaften, auch tatsächlich im Halbschlaf erdachten Plan aus. (Ich erwähne ihn hauptsächlich deshalb, um dabei die Zusendung der "Galeeren zu entschuldigen.)

Ich habe einen sehr guten Freund in Berlin, Dr. E. Weiß, eben den Verfasser der "Galeere". Ich kannte ihn früher nur flüchtig, seinen Roman gar nicht; erst als ich im November in Berlin war, war ich etwa eine Stunde mit ihm beisammen, seitdem allerdings in den Weihnachtsfeiertagen (in Prag) sehr lange. Diesen Dr. Weiß -bat ich nun Anfang Dezember, mit einem. Brief von mir zu F. ins Bureau zu gehe. Im :Brief stand nicht viel mehr, als dass ich eine Nachricht von ihr oder über sie haben müsse und deshalb W. hingeschickt habe, damit er mir von ihr schreiben könne. Während sie den Brief lese, werde W. neben ihrem Schreibtisch sitzen, sich umsehe, warten bis sie den Brief ausgelesen habe und dann, da er keinen weitem Auftrag habe und auch kaum eine Antwort bekommen dürfte (denn warum sollte er sie bekommen, da ich sie nie bekommen habe), weggehe und mir schreiben, wie sie aussehe und wie es ihr dem Anschein nach gehe. Das wurde auch ganz so ausgeführt. W. bekam für mich paar Zeilen, in denen mir F. versprach, am gleichen Tag ausführlich zu schreiben. Dieser angekündigte Brief kam nicht; ich schrieb einen Brief; als Antwort kam ein Telegramm, in dem ein Brief angekündigt wurde; der Brief kam nicht; ich telephonierte, wieder wurde mir ein Brief bestimmtest versprochen und kam nicht; ich telegraphierte, es kam ein Telegramm, nachdem der Brief an mich bereits fertig zum Abschicken bereit war. Trotzdem kam er nicht. Ich glaube, ich schrieb wieder. Endlich kam er. Es stand wenig und Trauriges drin, Trauriges ausdrücklich und außerdem Trauriges in der Undeutlichkeit des Ganzen. Darauf schrieb ich einen etwa 40 Seiten langen Brief, dessen Beantwortung ich seit etwa 4 Wochen erwarte oder besser nicht mehr erwarte. Tiefer demütigen, als ich es in dem Brief getan habe, kann man sich gar nicht mehr, allerdings steht in einer Art Widerspruch dazu eine Seite, eine in halbem Bewußtsein geschriebene, aber wahre Seite in dem Brief, die vielleicht die Beantwortung des ganzen Briefes unmöglich macht. Aber es kann doch nicht sein, denn diese Seite ist mit den vorigen arid spätem so verbunden, dass man sie nicht nur für sich lesen kaum und insbesondere Felice dürfte das nicht. Wenn sie es aber getan hat, dann hätte sie den Brief auch darin, wenn die Seite nicht drin stünde, nicht beantworten können.

Das ist beiläufig alles, was geschehen ist. Sie waren Weihnachten in Wien? Allein? Ich war fest überzeugt, dass Sie nach Berlin fahren würden und ebenso überzeugt war ich, dass ich in Berlin sein würde. Ich wäre auch hingefahren, aber aus dem telephonischen Gespräch bekam ich als einzige klare Mitteilung die Bitte, nicht nach Berlin zu kommen, eine Bitte, die übrigens später noch telegraphisch wiederholt wurde. Als ich Sie um baldige Antwort bat, dachte ich daran, vielleicht Sonntag nach Berlin zu fahren und mit einemmal, wenn es möglich ist, alles wende zu bringen. Ich werde es nicht tun, nach diesem Brief nicht. Ich kann nicht hinfahren, wenn ich von F. aus letzter Zeit nichts weiß. Ohne aber etwas zu wissen, kann ich F. über meinen letzten Brief hinaus nichts weiter beweisen, dazu bin ich nicht stark genug. Und so bleibt es bei der frühere Stille, nicht Ruhe.

Seien Sie mir, Fräulein, nicht böse, weder wegen meines dummen Mißtrauens noch wegen meines Vertrauens. Fast möchte ich Sie auch noch in F.'s Namen um Verzeihung bitten, denn es scheint wirklich, als ob F. und ich, seitdem wir es aufgegeben haben, einander direkt und (von meiner Seite) urunterbrochen Leid anzutun, uns gegen Sie gewendet hätten, nicht um zu klagen, sondern um Ihnen Leid anzutun.

Zeigen Sie mir, dass Sie mir verzeihen, dadurch, dass Sie die "Galeere" freundlich annehmen. Es ist nicht bloß im Tausch gegen F.'s Brief, beides Niederschriften von Freunden, geschickt, es macht mir überhaupt Freude, dieses Buch, das ich lieb habe, besonders Ihnen zu geben.

Noch eine Bitte: Ich glaube, Sie kennen Erna Bauer, kennen Sie vielleicht ihre Bureauadresse?

Mit herzlichen Grüßen Ihr F. Kafka




nicht abgeschickten Brief: Vgl. den nicht abgeschickten Brief an Grete Bloch vom 15./16. Dezember 1913, der sich ihm Nachlaß Kafkas fand, S. 480f,


erdachten Plan: Vgl. Tagebücher (14., 15. und 17. Dezember 1913), S. 343 ff


40 Seiten langen Brief: Brief vom 29. Dezember 1913 bis 2. Januar 1914, S. 481 ff.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at