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Entwurf eines Briefes an Grete Bloch

15/16. XII. 13
 


Der Hauptgrund, Fräulein, der mich bisher gehindert hat, Ihnen zu schreiben, der mich sogar in den frühem Briefen gehindert hat, war die Rücksicht darauf, dass ich erstens immer daran war, was immer ich auch schreiben wollte, F. auszuspionieren, sei es auch nur, um zu erfahren, was sie jetzt tut, dass ich ferner zweitens vielleicht Ihnen ein Unrecht tat, indem ich der Lust zu fragen nicht widerstehn zu können glaubte und so Sie zu widerwilligen Antworten zwingen konnte und dass ich drittens den Anschein bekommen konnte, ich schriebe nur um zu fragen. Keine dieser Rücksichten kann mich jetzt mehr abhalten denn es wird, ich will nicht sagen "unverständlich", aber bedrückend, dass ich von F. gar nichts erfahren kann, so bedrückend, dass ich schreibe. Wissen Sie etwas von F.? Ist sie vielleicht krank? Aber aus Ihrem letzten Briefe (ich erschrecke als ich ihn aufschlage, er ist schon fast 3 Wochen alt) sehe ich doch dass Sie wenigstens gegen Ende November noch Karten von F. bekamen, in denen von keiner Krankheit die Rede war. Ich würde aber selbst ohne diese Andeutungen an keine Krankheit glauben, von dorther kommt meine Unruhe nicht. Nun, den Abend vor Ankunft Ihres Briefes schrieb ich einen Brief an F. schickte ihn am nächsten Morgen, es dürfte der 28. XI gewesen sein, weg, übrigens rekommandiert. Zwei Tage später erfuhr ich, dass die Frau von Max, die mit F. in Berlin beisammen gewesen war und sie damals schon geradezu für Weihnachten eingeladen hatte, dies nun in einem Brief ausdrücklich nochmals wiederholt hatte. Letzten Sonntag schickte ich F. noch einen Expressbrief. Keiner dieser 3 Briefe ist beantwortet. Widerspricht das nicht, ich will wieder nicht sagen "vollständig", aber doch zum größten Teil, ihrem Wesen? Durch welche Umstände, durch welche Gedankengänge ist es zu erklären? Wissen Sie etwas darüber und wollen Sie es mir sagen?Wenn Sie es nicht sagen können, so will ich es nicht etwa durch Mitleid erzwingen (Augenblicklich bin ich z.B. vielleicht selbst unter den Blicken von 1000 Beobachtern nicht im geringsten bemitleidenswürdig, ich sitze etwa um ½1 Uhr in der Nacht bequem und geradezu sinnlos ruhig, die Füße in eine Decke eingepackt, in ziemlichem Wohlbefinden beim Schreiben dieses Briefes.) Wenn Sie es aber nicht sagen können, dann sagen Sie mir nur dieses, damit ich nicht so im ganz Unklaren herumsuchen muß.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at