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An Felice Bauer

[Vermutlich Nacht vom 24. zum 25.VIII.1I3
 


Liebste Felice, ich habe vielleicht mittag nicht ganz richtig geschrieben. Ich bin so abhängig vom Augenblick und von seinen Kräften. Versteh mich also recht! Was der Vater sagte, ist Zustimmung in seiner Art, soweit er zu etwas seine Zustimmung geben kann, was ich will. Er spricht vom Glück der Kinder, das ihm am Herzen liegt und er lügt kaum jemals im Ernst, dazu ist sein Temperament zu stark. Aber was er dahinter noch fürchtet, ist etwas anderes. Darin ist er vielleicht Deiner Mutter ein wenig ähnlich, dass er überall den Zusammenbruch ahnt. Früher als er noch vollständiges Vertrauen zu sich und zu seiner Gesundheit hatte, waren diese Befürchtungen nicht so stark, insbesondere wenn es sich um Dinge handelte, die er selbst begonnen hatte und selbst durchführte. Heute aber fürchtet er alles und schauderhafter Weise wird diese Furcht wenigstens in den Hauptsachen immer bestätigt. Schließlich ist ja mit solchen regelmäßigen Warnungen nichts weiter gesagt, als dass das Glück selten ist, und das ist dann allerdings der Fall. Nun hat aber der Vater sein Leben lang schwer gearbeitet und aus nichts verhältnismäßig etwas gemacht. Dieses Fortschreiten hat aber schon seit fahren, seit dem Erwachsensein der Töchter aufgehört und hat sich jetzt durch die Verheiratungen der Töchter in einen entsetzlichen Rückschritt verwandelt, der ununterbrochen anhält. Dem Gefühl des Vaters nach hängen ihm seine Schwiegersöhne und seine Kinder, ich jetzt ausgenommen, ununterbrochen am Halse. Das Gefühl ist leider vollständig berechtigt und wird noch durch das Leiden des Vaters, eine Arterienverkalkung, maßlos verstärkt. Nun denkt er, jetzt heirate ich, der bis jetzt zum Teil außerhalb dieser Sorgen war, muß seiner Rechnung nach, wenn nicht sofort, so in zwei Jahren bestimmt in Not geraten, werde, wie ich es auch jetzt in Abrede stellen mag, ihn, der sich vor Sorgen kaum rühren kann, um Hilfe bitten oder er werde, wenn ich nicht bitte, sie mir doch irgendwie zu verschaffen suchen und sein Ruin und der Ruin der vielen, die seiner Meinung nach von ihm abhängen, werde dadurch noch beschleunigt werden. So mußt Du ihn verstehn, Felice. Aber nun saß Dich bitte nach alledeln, wie ich es schon lange nicht zu denken wagte, lange und möglichst ruhig von mir küssen.

Dein Franz


Wenn man ihn darin, wenigstens in diesem Hauptpunkt irgendwie trösten könnte! Ich habe keine richtige Beurteilung des Geldes (wenn ich auch von meinem Vater Geiz in kleinen Dingen geerbt habe, die Erwerbslust aber leider nicht) und der Lebensbedürfnisse erst recht nicht. Wenn mir der Vater sagt, wir werden in Not geraten, so glaube ich es, und wenn Du mir sagst, wir werden nicht in Not geraten, glaube ich es noch lieber. Disputieren kann ich jedenfalls mit meinem Vater darüber nicht, da muß eine bessere Zunge kommen.

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Und bitte, Felice, schreib mir regelmäßig in diesen schlimmen Zeiten!

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Der Brühl ist ein schrecklicher Mensch. Einmal veruntreut er, einmal hat er ein Verhältnis oder hängt beides zusammen? Die meisten Kinder verdienen doch schon etwas?


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at