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An Felice Bauer

24. VIII. 13
 


Liebste Felice! Das Mädchen weckte mich aus meinem Dusel und reichte mir Deinen Brief. Er kam wie eine Ergänzung der grellen Vorstellungen, die in dem ewigen halbwachen Zustand, in dem ich nun schon alle Nächte verbringe, mir durch den Kopf gehn. Aber käme das Mädchen in beliebiger Nachtstunde und brächte Deinen Brief, immer würde er sich meinem Gedankengang, der von nichts handelt als von Dir und unserer Zukunft, als etwas Selbstverständliches einfügen.

Arme liebste Felice! Dieses Zusammentreffen, dass ich mit niemandem so leide wie mit Dir und niemanden so quäle wie Dich, ist schrecklich und gerecht. Ich gehe förmlich auseinander. Ich ducke mich vor meinen eigenen Schlägen und nehme förmlich den größten Anlauf, um sie auszuführen. Wenn das nicht die schlimmsten Vorzeichen sind, die uns erscheinen können!

Nicht ein Hang zum Schreiben, Du liebste Felice, kein Hang, sondern durchaus ich selbst. Ein Hang ist auszureißen oder niederzudrücken. Aber dieses bin ich selbst; gewiß bin auch ich auszureißen und niederzudrücken, aber was geschieht mit Dir? Du bleibst verlassen und lebst doch neben mir. Du wirst Dich verlassen fühlen, wenn ich lebe, wie ich muß, und Du wirst wirklich verlassen sein, wenn ich nicht so lebe. Kein Hang, kein Hang! Meine kleinste Lebensäußerung wird dadurch bestimmt und gedreht. Du wirst Dich an mich gewöhnen, Liebste, schreibst Du, aber unter welchen, vielleicht unerträglichen Leiden. Bist Du imstande, Dir ein Leben richtig vorzustellen, währenddessen, wie ich es Dir schon schrieb, wenigstens im Herbst und Winter, für uns täglich gerade nur eine gemeinsame Stunde sein wird und Du als Frau die Einsamkeit schwerer noch tragen wirst, als Du es Dir heute als Mädchen in der Dir gewohnten, entsprechenden Umgebung nur von der Ferne denken kannst? Vor dem Kloster würdest Du unter Lachen zurückschrecken und willst mit einem Menschen leben, den sein eingeborenes Streben (und nur nebenbei auch seine Verhältnisse) zu einem Klosterleben verpflichten? Seien wir ruhig, Felice, ruhig! Ich bekam heute von Deinem Vater einen ruhigen, überlegten Brief, dessen Ruhe gegenüber mein Zustand mir wie eine Narrheit schon außerhalb der Welt erschien. Und doch ist Deines Vaters Brief nur deshalb ruhig, weil ich Deinen Vater betrüge. Sein Brief ist freundlich und offen, mein Brief war nur eine Verschleierung der unglückseligsten Hintergedanken, mit denen ich nur Dich immer wieder anfallen muß, meine liebste Felice, deren Fluch ich bin. Dein Vater entscheidet sich, wie natürlich, nicht, sondern behält die Entscheidung einer Besprechung mit Dir und Deiner Mutter vor. Sei Felice, ehrlich Deinem Vater gegenüber, wenn ich es schon nicht war. Sag' ihm, wer ich bin, zeig' ihm Briefe, steige mit seiner Hilfe aus dem fluchwürdigen Kreis, in den ich, verblendet durch Liebe wie ich war und bin, Dich mit meinen Briefen und Bitten und Beschwörungen gedrängt habe.

Franz


Letzte Änderung: 28.5.2016werner.haas@univie.ac.at