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An Felice Bauer
Liebste Felice! Das Mädchen weckte mich aus meinem Dusel und reichte
mir Deinen Brief. Er kam wie eine Ergänzung der grellen Vorstellungen,
die in dem ewigen halbwachen Zustand, in dem ich nun schon alle Nächte
verbringe, mir durch den Kopf gehn. Aber käme das Mädchen in
beliebiger Nachtstunde und brächte Deinen Brief, immer würde
er sich meinem Gedankengang, der von nichts handelt als von Dir und unserer
Zukunft, als etwas Selbstverständliches einfügen.
Arme liebste Felice! Dieses Zusammentreffen, dass ich mit niemandem
so leide wie mit Dir und niemanden so quäle wie Dich, ist schrecklich
und gerecht. Ich gehe förmlich auseinander. Ich ducke mich vor meinen
eigenen Schlägen und nehme förmlich den größten Anlauf,
um sie auszuführen. Wenn das nicht die schlimmsten Vorzeichen sind,
die uns erscheinen können!
Nicht ein Hang zum Schreiben, Du liebste Felice, kein Hang, sondern durchaus
ich selbst. Ein Hang ist auszureißen oder niederzudrücken. Aber
dieses bin ich selbst; gewiß bin auch ich auszureißen und niederzudrücken,
aber was geschieht mit Dir? Du bleibst verlassen und lebst doch neben mir.
Du wirst Dich verlassen fühlen, wenn ich lebe, wie ich muß,
und Du wirst wirklich verlassen sein, wenn ich nicht so lebe. Kein Hang,
kein Hang! Meine kleinste Lebensäußerung wird dadurch bestimmt
und gedreht. Du wirst Dich an mich gewöhnen, Liebste, schreibst Du,
aber unter welchen, vielleicht unerträglichen Leiden. Bist Du imstande,
Dir ein Leben richtig vorzustellen, währenddessen, wie ich es Dir
schon schrieb, wenigstens im Herbst und Winter, für uns täglich
gerade nur eine gemeinsame Stunde sein wird und Du als Frau die Einsamkeit
schwerer noch tragen wirst, als Du es Dir heute als Mädchen in der
Dir gewohnten, entsprechenden Umgebung nur von der Ferne denken kannst?
Vor dem Kloster würdest Du unter Lachen zurückschrecken und
willst mit einem Menschen leben, den sein eingeborenes Streben (und nur
nebenbei auch seine Verhältnisse) zu einem Klosterleben verpflichten?
Seien wir ruhig, Felice, ruhig! Ich bekam heute von Deinem Vater einen
ruhigen, überlegten Brief, dessen Ruhe gegenüber mein Zustand
mir wie eine Narrheit schon außerhalb der Welt erschien. Und doch
ist Deines Vaters Brief nur deshalb ruhig, weil ich Deinen Vater betrüge.
Sein Brief ist freundlich und offen, mein Brief war nur eine Verschleierung
der unglückseligsten Hintergedanken, mit denen ich nur Dich immer
wieder anfallen muß, meine liebste Felice, deren Fluch ich bin. Dein
Vater entscheidet sich, wie natürlich, nicht, sondern behält
die Entscheidung einer Besprechung mit Dir und Deiner Mutter vor. Sei Felice,
ehrlich Deinem Vater gegenüber, wenn ich es schon nicht war. Sag'
ihm, wer ich bin, zeig' ihm Briefe, steige mit seiner Hilfe aus dem fluchwürdigen
Kreis, in den ich, verblendet durch Liebe wie ich war und bin, Dich mit
meinen Briefen und Bitten und Beschwörungen gedrängt habe.
Franz
Letzte Änderung: 28.5.2016 werner.haas@univie.ac.at