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An Felice Bauer

18. VIII. 13
 


Liebste Felice, Du wirst mir doch nicht krank. Es geht Dir nicht besonders? Was bedeutet das? Und warum erklärst Du es nichtnäher? Muß ich mir allein Vorwürfe darüber machen, dass ich durch Quälereien Dich krank mache? Ist nicht anderes schuld? Und was ist es? Und Du schläfst noch immer nicht gut? Wahrhaftig meine Schlaflosigkeit sollte doch für uns beide ausreichen. Hast Du genug Ruhe? Hast Du gutes und vernünftiges Essen? Was bedeutet nur das, es ginge Dir nicht besonders? Schreibe mir keine Briefe mehr, nur Karten, aber bitte, Felice, zu einer solchen Nachricht, es ginge Dir nicht besonders, füge auch eine kleine Erklärung oder eine kleine Hoffnung hinzu. Wenn Du nur schreibst, es ginge Dir nicht besonders, so kann ich das stundenlang anstarren, ohne eine Erklärung herauszulesen oder wenigstens ohne eine gute Erklärung herauszulesen. Und schicke mir dann nicht Karten mit solchen Bildchen, sondern wirkliche Ansichtskarten, aus denen ich mir eine Vorstellung davon machen kann, wo und wie Du lebst, denn das ist mir doch das wichtigste.

Die Post scherzt wohl wieder mit uns. Deinen Brief vom Freitag bekam ich erst jetzt Montag, und der Flaubert, der doch schon vorigen Montag bei Dir hätte ankommen sollen, scheint auch erst jetzt gekommen zu sein. In dem Buch ist aber Leben! Hält man sich fest daran, geht es in einen über, sei man, wie man sei.

Gestern kam Max von seiner Reise zurück, ich war bei ihm, dort waren auch seine Eltern, und da erfuhr ich die große Neuigkeit, dass Frau Brod von irgendjemandem von irgendwo - den Namen würde man mir niemals nennen - einen Glückwunsch bekommen habe. Ich hörte nichts, verstand nichts, hatte Kopfschmerzen von einer schlaflosen Nacht und richtete mich darauf ein, sinnlos herumzustarren. Das war zwar nur der Ausdruck eines elenden Zustandes, gleichzeitig aber auch der Ausdruck der Traurigkeit darüber, dass sich fremde Leute in meine Angelegenheit einmischen oder einmischen möchten, wozu ich ihnen ein Recht selbst bei äußerster Berücksichtigung ihrer Freundschaft, Anteilnahme, Hilfsbereitschaft und Liebenswürdigkeit niemals zugestehen kann.

Die Photographien! Felice. Die Photographien! Man wartet!

Sieh, was für ein schönes Gedicht ich bekommen habe, es ist gerade im "März" erschienen [1]. Schick es mir wieder zurück. Ja dort sind wir vor zwei Jahren gelegen. Ich weiß nicht mehr, wie das Dorf geheißen hat, ganz nahe bei Lugano. - Und nun sieh zu, dass Du gesund wirst. Die Cousine und die Freundin sollen nichts tun als Dich bedienen und pflegen. Hätte ich doch auch eine Aufgabe dabei.


Franz




ein schönes Gedicht: Max Brods Gedicht >Lugano-See" das Franz Kafka gewidmet ist, erschien in der Münchener Wochenschrift März VII (August 1913), S. 247. Vgl. Brod, Biographie, S. 100.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at