Voriger Eintrag Jahresübersicht | IndexseiteNächster Eintrag

 

An Felice Bauer

[14.August 1913]
 


Liebste Felice! Erst in dem letzten Brief erkenne ich Dich wieder. Du warst wie hinter Wolken. Noch in dem Brief von Montag (den ich, wegen ungenügender Frankierung wahrscheinlich, erst heute, Donnerstag, bekam) und in dem ersten Dienstagbrief. Ich fragte mich, ob ich den bösen Blick habe, dass mir alle diese Briefe nicht genügten. Immerfort war dort von den Mängeln der Ullsteinhalle die Rede. Wer bezweifelt, dass sich dort schlecht schreiben läßt, aber wer verlangt, dass Du dort schreiben sollst? Schon das Bild der Ullsteinhalle tat meinen Augen immer weh. Du schriebst doch sowieso mit Bleistift, konntest Du also nicht beim Frühstück mir paar Zeilen schreiben oder am Strand? Dann fand ich auch aus verschiedenen Anzeichen, dass Du meine Briefe nur ganz flüchtig liest. Ein Beispiel: Ich schrieb vom Onkel aus Madrid, Du verlegtest ihn nach Mailand. Daran lag ja nicht viel, aber ebensogut konntest Du irgendeines meiner wichtigsten Bedenken in irgend eine andere Himmelsgegend verlegen, ohne dass Du es aussprachst und ohne dass ich es merkte.

Erst Dein zweiter Dienstagbrief hat mich ein wenig beruhigt, und ich glaube, es ist wieder meine Felice. Endlich ist sie wieder aufgetaucht. Vielleicht bist Du nur müde, Felice. Es wäre ein Wunder, wenn Du es nicht wärest. Nun, ich denke an keine andere der vorhandenen Möglichkeiten und gleichzeitig mit diesem Brief geht auch der Brief an Deine Eltern ab. Bis Berlin gehen sie gemeinsam.

Der Mann in Euerer Pension soll die Graphologie lassen. Ich bin durchaus nicht "sehr bestimmt in meiner Handlungsweise" (es müßte denn sein, dass Du es erfahren hast), ich bin ferner gar nicht "überaus sinnlich", sondern habe großartige, eingeborene asketische Fähigkeiten, ich bin nicht gutherzig, bin zwar sparsam, aber gerade "aus Zwang" bin ich's nicht und sonst sehr freigebig bin ich schon gar nicht, und mit dem, was der Mann sonst sagte und das Du Dir nicht merken konntest, wird es sich ähnlich verhalten. Nicht einmal das "künstlerische Interesse" ist wahr, es ist sogar die falscheste Aussage unter allen Falschheiten. Ich habe kein literarisches Interesse, sondern bestehe aus Literatur, ich bin nichts anderes und kann nichts anderes sein. Ich habe letzthin in einer "Geschichte des Teufelsglaubens" folgende Geschichte gelesen: "Ein Kleriker hatte eine so schöne süße Stimme, dass sie zu hören die größte Lust gewährte. Als ein Geistlicher diese Licblichkeit eines Tages auch gehört hatte, sagte er: das ist nicht die Stimme eines Menschen, sondern des Teufels. In Gegenwart aller Bewunderer beschwor er den Dämon, der auch ausfuhr, worauf der Leichnam (denn hier war eben ein menschlicher Leib anstatt von der Seele vom Teufel belebt gewesen) zusammensank und stank." Ähnlich, ganz ähnlich ist das Verhältnis zwischen mir und der Literatur, nur dass meine Literatur nicht so süß ist wie die Stimme jenes Mönches. - Man muß allerdings schon ein ganz ausgepichter Graphologe sein, um das aus meiner Schrift herauszufinden.

Zu Deinem Graphologen füge ich einen Kritiker. Im "Literarischen Echo" erschien letzthin eine Besprechung von "Betrachtung". Sie ist sehr liebenswürdig, aber an sich nicht weiter bemerkenswert. Nur eine Stelle ist auffallend, es heißt dort im Verlauf der Besprechung: "Kafkas Junggesellenkuhst ..."Was sagst Du dazu, Felice?

Kurz noch zu den andern Punkten: Auf dein Müllern bestehe ich durchaus, das Buch geht heute ab, wenn es Dir langweilig ist, so machst Du es nicht gut, strenge Dich an, es ganz genau (natürlich in sehr vorsichtigem Fortschreiten!) zumachen, und es wird Dich schon infolge seiner gleich spürbaren Wirkung nicht langweilen können; wegen des Kochens mach' Dir keine Sorge; Deiner im Schlaf sprechenden Cousine leg', wenn sie schläft, vorsichtig ein Tuch über das Gesicht.

Franz




Ein Kleriker ... stank: Zitiert aus Gustav Roskoff, Geschichte des Teufels. Leipzig 1869, Bd. I, S. 326. Die Einfügung in Klammern ist von Kafka.


Betrachtung: Paul Friedrich, Gleichnisse und Betrachtungen", Das literarische Echo 15. Jg., Heft 22 (15. August 1913), S. 1547ff.


Letzte Änderung: 28.5.2016werner.haas@univie.ac.at