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[Briefkopf der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt]


An Felice Bauer

9. VIII. 13
 


Als ich heute früh Deine beiden Briefe vom Mittwoch bekam und hörte, der eine wäre schon gestern abend angekommen, wollte ich Dich telegraphisch wegen meines gestrigen Briefes um Verzeihung bitten. Als ich aber die beiden Briefe gelesen hatte, konnte ich es nicht. Das sind wirklich der Zeit und dem Herzen abgezwungene Briefe, die mich trostlos machen. Ich bin nicht ganz so unglücklich, als wenn ich nichts bekommen hätte, das gestehe ich, aber nach einer andern Seite hin ist das Unglück viel größer. Schriebest Du mir doch in solcher Laune nur Karten, damit man sich ...

So weit hatte ich im Bureau geschrieben, ich war todtraurig. Ich saß erstarrt über diesen Briefen, aus denen ich auch beim 100[s]ten Lesen und bei größter Selbsttäuschung nichts von dem herauslesen konnte, was ich brauchte. Mit einigen äußerlichen Änderungen konnten es Briefe an einen fremden Menschen sein oder vielmehr sie konnten es nicht sein, denn dann - so schien es mir - wären sie weniger flüchtig nicht etwa geschrieben, sondern gefühlt gewesen. Liebste Felice, sieh', ich bin doch nicht irrsinnig, mag ich auch besonders jetzt und Dir gegenüber überempfindlich sein, denn Du bist für mich von unersetzlichem Wert, wie das aber auch sein mag, was ich aus Deinen Briefen nicht herauslesen kann, das steht eben nicht drin. Es ist wieder jene Verwunderung, wie ich sie manchmal hatte, wenn wir beisammen waren (Du warst dann mir gegenüber wie ermattet und unzugänglich aus inneren Zwang) und wie ich sie merkwürdiger Weise immer zu fühlen bekomme, wenn Du von Berlin verreist. So war es, als Du in Frankfurt, so war es, als Du in Göttingen und Hamburg warst. Zerstreut Dich die Reise oder läßt sie Dich aufwachen? Das sind doch Tatsachen, die nicht geleugnet, aber doch erklärt werden können. Wenn ich in meiner Erinnerung den allerersten Brief, den Du mir schriebst, mit Deinem letzten vergleiche, Felice, so muß ich fast sagen, so wahnsinnig das aussieht, der erste dürfte mich mehr freuen als dieser. Natürlich ist das nur ein einzelner Brief und noch in dem vorvorletzten hast Du mir unzählige Male mehr Liebes erwiesen, als ich verdiene. Aber immerhin auch die letzten zwei Briefe sind da, und um Verdienst handelt es sich hier nicht. Kannst Du es mir erklären und im guten Siam und nicht nur durch den Hinweis auf meine Einbildungen, dann bitte, bitte, Felice, tue es. Gib eine Erklärung für die paar geschriebenen Briefe dieser Art und für die Reihe der nichtgeschriebenen. Unter den geschriebenen stehn die aus Frankfurt obenauf, dann jener Brief aus dem Zoologischen [Garten] (unter dem Tisch geschrieben) und dann dieser letzte vom Mittwoch abend, in dem nichts steht, als dass "Erna schilt den ganzen Tag mit mir, sie behauptet, ich verbringe den ganzen Tag im Zimmer mit Schreiben, anstatt in die Luft zu gehn." Liebste Felice, was bedeutet das, was soll damit gesagt sein?

Und doch muß ich im Anblick des Bildes, das ich jetzt zuhause vorgefunden habe, eingestehn, dass ich mich Dir mit unendlicher Gewalt verbunden fühle, und wenn nicht dieser durchlittene Vormittag mir in der Erinnerung die Fähigkeit gegeben hätte, das Obige, das Unbedingt-Notwendige niederzuschreiben, ich lieber nur gedankt hätte, wie ich es im Anblick Deines Bildes ununterbrochen tue.


Dein Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at