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An Felice Bauer
Endlich sehe ich wieder Deine liebe Schrift. Die Karten aus Hamburg habe
ich gar nicht bekommen, solltest Du sie nicht deutlich und allgemein lesbar
adressiert haben? Auf der heutigen Karte steht z.B. Niklasstr.
Nr. 6 und so ein Fehler kann mir unter Umständen großes
Leid machen.
Von meinen Eltern müssen wir nicht mehr reden; deren hörbare
Warnungen sind erledigt. Rücksichtlich des Briefes an Deinen Vater
finde ich aber bei Dir keinen entschiedenen Rat, eher dreierlei einander
widersprechende Ratschläge. Ich will aber auch keinen Rat, sondern
schicke den Brief an Deinen Vater (allerdings nur an den Vater, die Mutter
ist darin nur erwähnt, die Form dafür, den Brief an Vater und
Mutter zu richten, kann ich nicht finden) weg, sobald ich Deine Antwort
auf meine neue Herzgeschichte habe. Heute z. B. habe ich gar nicht geschlafen,
ganz und gar nicht, ich hörte die mei sten Uhrenschläge, sonst
duselte ich und irgendein Gedanke, der Dich betraf, ich weiß nicht
mehr welcher, fuhr unaufhörlich, einförmig und rasend schnell
wie ein Weberschiffchen durch meinen Dämmerzustand.
Mitten in der Nacht bekam ich in meiner Hilflosigkeit einen förmlichen
Irrsinnsanfall, die Vorstellungen ließen sich nicht mehr beherrschen,
alles ging auseinander, bis mir in der größten Not die Vorstellung
eines schwarzen napoleonischen Feldherrnhutes zu Hilfe kam, der sich über
mein Bewußtsein stülpte und es mit Gewalt zusammenhielt. Dabei
klopfte das Herz geradezu prächtig, und ich warf die Decke ab, trotzdem
das Fenster vollständig offen und die Nacht ziemlich kühl war.
Und sonderbarer Weise war mir früh, trotzdem ich es in der Nacht für
ausgeschlossen gehalten hatte, ins Bureau zu gehe, gar nicht besonders
schlecht, abgesehn von Schmerzen im Herzen und ringsherum. Und als ich
dann im Bureau Deine Karte und den Brief (der am Montag nachmittag geschriebene
Brief kam also Mittwoch früh) bekam, war mir noch um ein großes
Stück besser. - Es ist das Charakteristische meines ganz zerrütteten
Zustandes, dass mir jeden Tag ganz anders zumute ist, natürlich
auf der Grundlage eines talveränderlichen schlechten Grundzustandes.
Wie, mein Einfall hinsichtlich Deines Prager Besuches wäre nichts
als Dummheit gewesen? Geh, Felice, das ist doch nicht wahr. Natürlich
mußtest Du von meinen Eltern eingeladen werden, aber unter dieser
Voraussetzung wäre es doch die einfachste Sache von der Welt. Und
überdies, was das Entscheidende ist, so schön.
Mit meinem Urlaub hatte ich ein großes Unglück. Zuerst wollte
ich 14 Tage reisen und die andern 14 Tage in einem Sanatorium bleiben.
Nun wird es aber unbedingt notwendig werden, die ganze Zeit in einem Sanatorium
zu bleiben, da wählte ich mir ein Sanatorium bei Genua in Pegli aus,
das wäre gleichzeitig Reise (infolge der Nähe Genuas) und Sanatorium
gewesen. Nun aber erfahre ich, dass die Saison dieses Sanatoriums
erst am 1. Oktober beginnt, während ich den Urlaub im September nehmen
maß. So werde ich wahrscheinlich nur in das San. Hartungen in Riva am Gardasee gehn. Schade! Über Maxens Wirtschaft
muß ich Dir noch schreiben, sonst mißverstehst Du mich vielleicht.
Du, in Seebädern wird soviel photographiert, ich möchte Dich
z. B. im Strandkorb sitzen sehn oder in den Dünen, könnte ich
nicht ein Bild bekommen?
Franz
Grüße auch das Frl. Danziger von mir, wir kennen einander nicht,
aber sie lebt neben dem Liebsten, was ich habe, ist das nicht Beziehung
genug?Was für eine feste Schrift sie übrigens hat!
Niklasstr. Nr. 6 und so ein Fehler: Kafkas Adresse
war damals Niklasstr. 36.
Riva: Kafka hatte im September 1909 seinen Urlaub
mit Max und Otto ßrod in Riva verbracht.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at