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An Felice Bauer

6. VIII. 13
 


Endlich sehe ich wieder Deine liebe Schrift. Die Karten aus Hamburg habe ich gar nicht bekommen, solltest Du sie nicht deutlich und allgemein lesbar adressiert haben? Auf der heutigen Karte steht z.B. Niklasstr. Nr. 6 und so ein Fehler kann mir unter Umständen großes Leid machen.

Von meinen Eltern müssen wir nicht mehr reden; deren hörbare Warnungen sind erledigt. Rücksichtlich des Briefes an Deinen Vater finde ich aber bei Dir keinen entschiedenen Rat, eher dreierlei einander widersprechende Ratschläge. Ich will aber auch keinen Rat, sondern schicke den Brief an Deinen Vater (allerdings nur an den Vater, die Mutter ist darin nur erwähnt, die Form dafür, den Brief an Vater und Mutter zu richten, kann ich nicht finden) weg, sobald ich Deine Antwort auf meine neue Herzgeschichte habe. Heute z. B. habe ich gar nicht geschlafen, ganz und gar nicht, ich hörte die mei sten Uhrenschläge, sonst duselte ich und irgendein Gedanke, der Dich betraf, ich weiß nicht mehr welcher, fuhr unaufhörlich, einförmig und rasend schnell wie ein Weberschiffchen durch meinen Dämmerzustand.

Mitten in der Nacht bekam ich in meiner Hilflosigkeit einen förmlichen Irrsinnsanfall, die Vorstellungen ließen sich nicht mehr beherrschen, alles ging auseinander, bis mir in der größten Not die Vorstellung eines schwarzen napoleonischen Feldherrnhutes zu Hilfe kam, der sich über mein Bewußtsein stülpte und es mit Gewalt zusammenhielt. Dabei klopfte das Herz geradezu prächtig, und ich warf die Decke ab, trotzdem das Fenster vollständig offen und die Nacht ziemlich kühl war. Und sonderbarer Weise war mir früh, trotzdem ich es in der Nacht für ausgeschlossen gehalten hatte, ins Bureau zu gehe, gar nicht besonders schlecht, abgesehn von Schmerzen im Herzen und ringsherum. Und als ich dann im Bureau Deine Karte und den Brief (der am Montag nachmittag geschriebene Brief kam also Mittwoch früh) bekam, war mir noch um ein großes Stück besser. - Es ist das Charakteristische meines ganz zerrütteten

Zustandes, dass mir jeden Tag ganz anders zumute ist, natürlich auf der Grundlage eines talveränderlichen schlechten Grundzustandes.

Wie, mein Einfall hinsichtlich Deines Prager Besuches wäre nichts als Dummheit gewesen? Geh, Felice, das ist doch nicht wahr. Natürlich mußtest Du von meinen Eltern eingeladen werden, aber unter dieser Voraussetzung wäre es doch die einfachste Sache von der Welt. Und überdies, was das Entscheidende ist, so schön.

Mit meinem Urlaub hatte ich ein großes Unglück. Zuerst wollte ich 14 Tage reisen und die andern 14 Tage in einem Sanatorium bleiben. Nun wird es aber unbedingt notwendig werden, die ganze Zeit in einem Sanatorium zu bleiben, da wählte ich mir ein Sanatorium bei Genua in Pegli aus, das wäre gleichzeitig Reise (infolge der Nähe Genuas) und Sanatorium gewesen. Nun aber erfahre ich, dass die Saison dieses Sanatoriums erst am 1. Oktober beginnt, während ich den Urlaub im September nehmen maß. So werde ich wahrscheinlich nur in das San. Hartungen in Riva am Gardasee gehn. Schade! Über Maxens Wirtschaft muß ich Dir noch schreiben, sonst mißverstehst Du mich vielleicht.

Du, in Seebädern wird soviel photographiert, ich möchte Dich z. B. im Strandkorb sitzen sehn oder in den Dünen, könnte ich nicht ein Bild bekommen?

Franz


Grüße auch das Frl. Danziger von mir, wir kennen einander nicht, aber sie lebt neben dem Liebsten, was ich habe, ist das nicht Beziehung genug?Was für eine feste Schrift sie übrigens hat!




Niklasstr. Nr. 6 und so ein Fehler: Kafkas Adresse war damals Niklasstr. 36.


Riva: Kafka hatte im September 1909 seinen Urlaub mit Max und Otto ßrod in Riva verbracht.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at