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An Felice Bauer

5.VIII. 13


Liebste Felice, ich habe gestern schändlich übertrieben, wenn ich schrieb, dass ich erst für Mittwoch einen Brief erwartete. Ich habe ihn vielmehr für heute bestimmt erwartet, ganz bestimmt. Und wenn nicht einen Brief, so eine Karte von der Reise. Und wenn nicht eine Karte, so ein Telegramm. Ich werde verächtlich durch dieses Betteln, aber ich kann mich in viel weniger wichtigen Dingen nicht. beherrschen, wie erst im Erwarten der Nachrichten von Dir. Immerfort laufen mir dann die Gedanken durcheinander: Du schreibst mir nicht gern, Du denkst nicht an mich, Du liebst mich vielleicht nur aus irgendeiner Erinnerung heraus. Elende, unbezähmbare Bettelei!

Übrigens kam gerade jetzt ein Telegramm. Ich dachte natürlich nicht anders als es wäre von Dir, und das Mädchen, das es brachte, bekam einen glückseligen Blick. Unterdessen ist es aus Madrid. Der Onkel (Alfred Löwy] dort ist mir der nächste Verwandte, viel näher als die Eltern, aber natürlich auch nur in einem ganz bestimmten Sinn. Ich hatte von ihm in der letzten Zeit drei Briefe bekommen, ohne dass ich Lust gehabt hätte, ihm zu schreiben. Da, vor 5 Tagen (4 Tage braucht ein Brief, um nach Madrid zu kommen, das ist nicht viel, wenn man es mit der Verbindung Prag- Westerland vergleicht) schrieb [ich] ihm einmal in der Nacht einen Begleitbrief zur "Arkadia", die ich ihm gleichzeitig schickte. Ich klagte mich ordentlich in dem Brief aus und schrieb auch (dieser Onkel hätte eigentlich von unserer Verlobung vor meinen Eltern erfahren sollen) mit schöner Überleitung, dass ich mich nächstens öffentlich verloben werde. Später fiel mir die merkwürdige Übereinstimmung jenes Briefes mit dem "Urteil" ein. Gewiß steckt im "Urteil" auch vieles vom Onkel drin (er ist Junggeselle, Eisenbahndirektor in Madrid, kennt ganz Europa außer Rußland), und nun zeigte ich ihm in einem ähnlichen Briefe, wie Georg seinem Freunde, meine Verlobung an und überdies in einem Begleitbrief zur "Arkadia". - Nun muß aber der Onkel meinen Brief mißverstanden haben und glauben, wir wären schon öffentlich verlobt, denn in dem Telegramm, das vor mir liegt, heißt es wortwörtlich: "sehr erfreut gratuliert herzlichst dem Brautpaar Onkel Alfred". So werden wir von Madrid aus in die Sphäre der Öffentlichkeit gehoben, während Deine Eltern noch ruhig hinleben und nichts oder wenig von dem schrecklichen Schwiegersohn wissen, der ihnen droht.

Franz
 




Arkadia: Vgl. Anm [2] S. 46.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at