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An Felice Bauer

4. VIII. 13
 


Liebste Felice, ich widerrufe alles, was ich vielleicht gestern gesagt habe. Es ist eine berechtigte Angst, die mich von Dir jetzt abhält, die mich auch abhält zu wünschen, dass Du jetzt nach Prag kämest, aber noch berechtigter ist eine weit darüber hinausgehende ungeheuere Angst davor, dass ich zugrunde gehe, wenn wir nicht bald beisammen sind. Denn wenn wir nicht bald beisammen sind, richtet sich die Liebe zu Dir, die keinen andern Gedanken in mir neben sich duldet, auf eine Vorstellung, auf einen Geist, auf etwas ganz und gar Unerreichbares und dabei ganz und gar und niemals zu Entbehrendes, und das wäre allerdings imstande, mich aus dieser Welt zu reißen. Ich zittere beim Schreiben. Komm also, Felice, komm, wenn Du nur irgendwie kannst, auf der Rückreise nach Prag.

Gleichzeitig mit dieser Bitte muß ich Dir in einer andern und fast wichtigsten Sache die Wahrheit sagen, besonders da Du seit langer Zeit mich nicht danach gefragt hast und es förmlich stillschweigend geduldet hast, dass diese Frage aus unserm Briefwechsel ausgeschaltet wird. Ich habe doch früher immer gesagt, dass mein körperlicher Zustand mich hindert zu heiraten, und dieser Zustand ist seitdem wahrhaftig nicht besser geworden. Ehe ich Dir einen der entscheidenden Briefe schrieb, etwa vor 1½ Monaten, war ich beim Arzt, bei unserm Hausarzt. Er ist mir nicht besonders angenehm, aber nicht viel unangenehmer als Ärzte überhaupt. An und für sich glaube ich ihm nicht, aber beruhigen lasse ich mich von ihm wie von jedem Arzt. In diesem Sinne sind auch Ärzte als Naturheilmittel zu verwenden. Diese Beruhigung (gegen mein inneres Wissen) bekam ich von ihm damals nach großer Untersuchung in überreichlichem Maß. An demselben Nachmittag schrieb ich an Dich. Nun habe ich in der letzten Zeit Herzklopfen und später Stechen und Schmerzen in der Herzgegend bekommen, die gewiß zum größten Teil, wenn auch nicht ganz in der unerträglichen Trennung von Dir ihre Veranlassung haben. Zum Teil kommen sie auch daher, dass ich in der letzten Zeit zu viel geschwommen und zu viel und zu schnell marschiert bin, alles das allerdings auch, um mich zu ermüden und auf diese Weise des Verlangens nach Dir Herr zu werden. Darin hat es mir allerdings nicht geholfen, dafür habe ich diese Herzschmerzen. Heute war ich wieder beim Arzt. Organisches findet er, wie er sagt, nichts, wenn ihm auch an irgendeiner Stelle der Herzton nicht ganz rein scheint. Ich möge aber am besten gleich auf Urlaub gehn (das geht nicht), ich möge etwas einnehmen (das geht auch nicht), ich möge gut schlafen (das geht auch nicht), ich möge nicht nach dem Süden gehn, nicht schwimmen (das geht auch nicht) und ich möge mich ruhig verhalten (das geht erst recht nicht).

Das mußtest Du noch erfahren, ehe ich den Brief an Deinen Vater schreibe.

Wie freue ich mich aber jetzt auf die regelmäßigen Briefe, die wenn nicht morgen, so bestimmt Mittwoch beginnen werden!

Dein Franz


[am Rande] Ist kein Brief verloren gegangen? Dieses ist der 4te Brief nach Westerland?


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at