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An Felice Bauer
Liebste Felice, ich widerrufe alles, was ich vielleicht gestern gesagt
habe. Es ist eine berechtigte Angst, die mich von Dir jetzt abhält,
die mich auch abhält zu wünschen, dass Du jetzt nach Prag
kämest, aber noch berechtigter ist eine weit darüber hinausgehende
ungeheuere Angst davor, dass ich zugrunde gehe, wenn wir nicht bald
beisammen sind. Denn wenn wir nicht bald beisammen sind, richtet sich die
Liebe zu Dir, die keinen andern Gedanken in mir neben sich duldet, auf
eine Vorstellung, auf einen Geist, auf etwas ganz und gar Unerreichbares
und dabei ganz und gar und niemals zu Entbehrendes, und das wäre allerdings
imstande, mich aus dieser Welt zu reißen. Ich zittere beim Schreiben.
Komm also, Felice, komm, wenn Du nur irgendwie kannst, auf der Rückreise
nach Prag.
Gleichzeitig mit dieser Bitte muß ich Dir in einer andern und fast
wichtigsten Sache die Wahrheit sagen, besonders da Du seit langer Zeit
mich nicht danach gefragt hast und es förmlich stillschweigend geduldet
hast, dass diese Frage aus unserm Briefwechsel ausgeschaltet wird.
Ich habe doch früher immer gesagt, dass mein körperlicher
Zustand mich hindert zu heiraten, und dieser Zustand ist seitdem wahrhaftig
nicht besser geworden. Ehe ich Dir einen der entscheidenden Briefe schrieb,
etwa vor 1½ Monaten, war ich beim Arzt, bei unserm Hausarzt. Er
ist mir nicht besonders angenehm, aber nicht viel unangenehmer als Ärzte
überhaupt. An und für sich glaube ich ihm nicht, aber beruhigen
lasse ich mich von ihm wie von jedem Arzt. In diesem Sinne sind auch Ärzte
als Naturheilmittel zu verwenden. Diese Beruhigung (gegen mein inneres
Wissen) bekam ich von ihm damals nach großer Untersuchung in überreichlichem
Maß. An demselben Nachmittag schrieb ich an Dich. Nun habe ich in
der letzten Zeit Herzklopfen und später Stechen und Schmerzen in der
Herzgegend bekommen, die gewiß zum größten Teil, wenn
auch nicht ganz in der unerträglichen Trennung von Dir ihre Veranlassung
haben. Zum Teil kommen sie auch daher, dass ich in der letzten Zeit
zu viel geschwommen und zu viel und zu schnell marschiert bin, alles das
allerdings auch, um mich zu ermüden und auf diese Weise des Verlangens
nach Dir Herr zu werden. Darin hat es mir allerdings nicht geholfen, dafür
habe ich diese Herzschmerzen. Heute war ich wieder beim Arzt. Organisches
findet er, wie er sagt, nichts, wenn ihm auch an irgendeiner Stelle der
Herzton nicht ganz rein scheint. Ich möge aber am besten gleich auf
Urlaub gehn (das geht nicht), ich möge etwas einnehmen (das geht auch
nicht), ich möge gut schlafen (das geht auch nicht), ich möge
nicht nach dem Süden gehn, nicht schwimmen (das geht auch nicht) und
ich möge mich ruhig verhalten (das geht erst recht nicht).
Das mußtest Du noch erfahren, ehe ich den Brief an Deinen Vater schreibe.
Wie freue ich mich aber jetzt auf die regelmäßigen Briefe, die
wenn nicht morgen, so bestimmt Mittwoch beginnen werden!
Dein Franz
[am Rande] Ist kein Brief verloren gegangen? Dieses ist der 4te Brief nach
Westerland?
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at