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An Felice Bauer
Meine liebe, liebe Felice! Heute ist kein Brief, es ist ja heute ganz natürlich,
aber ich kann, wenn es sich um Deine Briefe handelt, Natürlichkeit
und Sonderbarkeit nicht mehr unterscheiden, ich will sie einfach haben,
muß sie haben, lebe durch sie.
Ich habe einen Einfall, der, wenn er Dir gefällt, großartig
wäre. Wenn Deine Antwort auf meine letzten Briefe kommt, könnte
ich an Deinen Vater schreiben. Wenn Deine Eltern nicht ängstlich sind
- schließlich ist ja kein besonderer Grund für Ängstlichkeit,
denn Deine Eltern kennen mich ja nicht; es müßte denn sein,
Du verrätest mich, dann freilich - wenn also Deine Eltern nicht ängstlich
sind, wären wir vielleicht in 14 Tagen vor unseren Eltern verlobt.
Wäre es dann nicht möglich -jetzt kommt der Einfall -, dass
Du über Prag zurückfährst? Nicht etwa, dass Du einen
Teil der Urlaubszeit verlieren solltest, das nicht, nur dass Du auf
der Rückfahrt einige Stunden in Prag bleiben könntest. Vielleicht
am letzten Sonntag oder am letzten Samstag, wäre es am Samstag, so
könnte ich Dich vielleicht nach Berlin zurückbegleiten. ja? Wäre
das gut? Es wäre nämlich nicht gut, wenn ich nur auf mich Rücksicht
nähme. Denn jedes Wort und jeder Blick den Du mit meinen Verwandten
tauschen wirst, wird mich kränken, nicht etwa nur aus Eifersucht,
sondern vor allem deshalb, weil ich mich so gegen sie abgeschlossen habe
und in dieser Abgeschlossenheit glücklich bin, jetzt aber durch Dich,
die Du ein Teil meines Wesens bist, eine neue Verbindung mit ihnen, wenn
nicht angeknüpft, so doch angedeutet wird. Daran, Felice, mußt
Du, wenn Du mich nicht unglücklich machen willst, immer denken, wenn
Du mit ihnen oder auch mit anderen sprichst. In dieser Hinsicht habe ich
mich wirklich in der Hand. Ich kann z. B. gelegentlich alles über
mich ausschwätzen, nicht mit Absicht, aber es ergibt sich so - und
trotzdem rollt schließlich alles wieder ganz rein in mich zurück
und ich bin ganz fremd, trotzdem ich vielleicht das Wichtigste gesagt habe.
Bei Dir, fürchte ich, würde ich es nicht so empfinden, Du bist
mir zu viel wert, wenn Du mit den Leuten schwätzen würdest, würde
ich mich mit Dir in ihnen verlieren. Aber einmal mußt Du ja, so traurig
es mir ist, mit den Verwandten bekannt werden, würdest Du also kommen?
Das Glück Deiner Gegenwart würde mir ja alles erträglich
machen.
Franz
Was ist das für ein Mädchen, Dein Fräulein Danziger?
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at