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An Felice Bauer

30. VII.13
 


Ich hätte gestern, ja schon vorgestern einen Brief von Dir haben müssen, Felice. Und wenn schon keinen Brief, so auf meinen gestrigen Brief gestern ein Telegramm. Du hättest mich nicht in diesem Zustande lassen dürfen. Wußtest Du, was ich tun würde, wenn ich wenigstens in Briefen grundlos mich von Dir verlassen sah? Ich habe Dich im Laufe dieses wunderbaren und schrecklichen Jahres ärger gequält, aber immer aus innerer Notwendigkeit, niemals aus äußerer, wie Du mich von Frankfurt aus und jetzt wieder. Diese Besuche und Verwandten! Ich werde keinen von dem andern unterscheiden und ich fürchte, sie werden alle meine Feinde sein in gegenseitiger Feindschaft. Wie soll ich sie ansehn, wenn ein kleines Erstauntsein der versammelten Gesellschaft oder ein kleines Unbehagen darüber, dass Du nicht da bist, sondern 5 Zeilen an mich schreibst, Dir bedenklicher scheint als meine Verzweiflung in diesen Nächten und Tagen, die sich an Kopfschmerzen und aufgeregtem Wachsein für mich kaum unterscheiden. Werde ich für Dich mehr sein, Felice, bis ich Dein öffentlicher Bräutigam bin? Ebenso aber wie dann keiner, nur weil Gesellschaft da ist, das Recht haben wird, Dich vom Schreiben an mich abzuhalten, wenn dieses Schreiben so nötig ist wie es am Somitag war - ebenso hat auch heute niemand das Recht dazu, und wenn er es hat, darfst Du es nicht anerkennen. Ich bin unglücklich darüber, dass Du mir nicht geschrieben oder telegraphiert hast, unglücklicher als Du Dir denken kannst. Das ist kein Übelnehmen, kein Mißverständnis, Felice, es rührt auch meine Liebe zu Dir nicht an, die ist unantastbar. Es ist nur begründete Trauer.

Franz


Ich habe den Brief noch einmal gelesen. Meine liebste Felice, wenn Du in Dir nur die leichteste Möglichkeit fühlst, diesen Brief übelzunehmen, so denke daran, dass Du ja gar nicht weißt, wie es mir - unerzählbar - infolge des Ausbleibens jeder Nachricht in der letzten und allerletzten Zeit gegangen ist.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at